„Wie klingt widerständige Musik?“

■ „Frauen und Computermusik - Ästhetik der Verweigerung?“ Diskussion an der HfK

„Music of the Sphere“, bei diesem Titel denkt man unwillkürlich an die New Age-Klänge der späten 60er und der 70er Jahre. Und an die Männer-Namen, die die Pioniere der neuen elektro-akustischen Musik waren. Fehllanzeige. Die Musikwissenschaftlerin Ute Schalz-Laurenze belehrte im Rahmen der R-R-R-Woche der Hochschule für Künste ihr (kleines) Publikum eines Besseren: Johanna Beyer heißt die Konpomistin der „Music of the Sphere“, und dieses erste elektro-akuistische Stück entstand 1938. Diese Klänge enthalten bereits die Grundmuster der neueren Computer -Musik: Das spielerische „intro“ mit Raum-Geräuschen, das sezierende Vordringen zum reinen Ton, dessen scheinbare Monotonie geringste Variationen von Rhythmus und Tonfarbe schon zum musikalischen Ereignis werden läßt.

Wo in der zeitgenössischen Musik mit Elektronik und Computern experimentiert wird, fehlen Frauen nicht. Nur in den Standardwerken der aktuellen Musikgeschichte sind sie unterrepräsentiert - Ute Schalz nannte die Frauen-Namen gegen dieses Verschweigen, fünfzig Stücke trug sie zusammen, und führte Hörbeispiele unter der Fragestellung: „Ästhetik der Verweigerung Fragezeichen“ vor.

Silvia Bovenschen hat für die Literatur die Hypothese einer weiblichen Ästhetik formuliert. Für die Musik gilt immerhin, daß die Komponistinnen in der Geschichte seit dem Beginn der Neuzeit unter der Decke des Patriarchats gehalten wurden, auch heute klingt die Frauen-Komposi

tion erst, wenn ein (in der Regel männlicher) Dirigent mit einem (in der Regel männlich besetzten) Orchester die gekritzelten Noten zum Kunstwerk befindet. In dieser Not -Lage, so erklärte Ute Schalz, liegt es für Frauen nahe, die technischen Möglickeiten der Elektro-Akustik zu nutzen: Das elektroakustische Werk bedarf keiner Abnahme und Interpretation mehr, wenn sie fertig ist.

Auch von einer anderen Möglichkeit der Technik seien Frauen, so Ute Schalz, besonders angezogen: frau kann beim Erfinden der neuen Klänge mithören, ausprobieren, probehören. Die Flötistin und durch ihre Klanginstallationen bekannte Bremen-Berlinerin Christina Kubisch hat diesen praktischen Unterschied auf die Formel gebracht, klassische Musik sei „Üben, Üben, Üben“, die

elektroakustische Musik sei „Erfahren, Programmieren, Ausprobieren, Erfinden“.

„Primitive“

Computerklänge?

Aus dem Publikum in der Hochschule für Künste kam gerade von Frauen der heftigste Widerspruch: „Zum Kotzen“ fand eine Frau die Computertöne, leblos. Die Sinustöne seien „primitiv“ im Vergleich zu dem obertonreichen Naturtönen der Stimme oder der Instrumente. „Angst vor dem Leblosen“ dieser Maschinenproduktion hatte eine Zuhörerin, kein Fehler sei da möglich, kein miteinander Musizieren, keine Interpretation.

Die Einwände wurden abgewehrt mit dem Hinweis, der Computer sei ein Instrument wie andere auch, nur eben anders. Die Frage nach der spezifisch weiblichen Ästhetik in den Ergebnissen der musikalischen Arbeit bleibt aber auch für Ute Schalz offen. Bei Männern findet sie vielfach nur spielerischen Umgang mit dem neuen Instrumentarium, Frauen arbeiten mit „verbindlicheren Formen“.

Eindeutig wird der Unterschied bei den Klangwerken, die auch über die verwendete Sprache identifizierbar feministisch sind. Etwa Doris Hays‘ tausendstimmiges „Celebration of NO“ (1982), eine Collage aus dem Nein aller Sprachen und Stimmlagen der Frauen-Welt. Ähnlich hat Anna Rubin 1984 Frauenlachen elektroakustisch in Musik verwandelt. Patricia Jünger hat einen Frauenbrief aus dem 19. Jahrhundert zu einem „Reqiuem“ klang-montiert: Emilie Kempin, „erste Juristin der Welt“, hatte in der Schweiz ihren Doktor mit „summa“ gemacht, sie wurde aber als Juristin nicht zugelassen. Der Satz aus der Verfassung: „Alle Schweizer sind vor dem Gesetz gleich“ galt nur für Schweizer, also Männer. Dr. Emilie Kempin wanderte erst in die USA aus, dann nach Berlin, erst 1899 kam sie in die Schweiz zurück - ins Irrenhaus. Von dort schrieb sie eine Bewerbung um eine Putzstelle, ein Brief, der die Zerstörung ihres Selbstbewußtseins, ihre gesellschaftliche Isolierung und letztlich ihre Selbst-Verachtung auf erschütternde Weise zum Ausdruck bringt. Die Schweizer Komponistin Patricia Jünger hat diesen Brief auf Tonträger gebracht, in Wortfetzen zerstückelt und aus dem verfremdeten Wort- und Klangmaterial ihr „Requiem“ gebildet - ein eindruckvolles Beispiel für elektroakustische Musik.

Klaus Wolschner