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■ Gespräch mit dem Ostberliner Kunsthistoriker Christoph Tannert über die erste Ausstellung junger DDR-KünstlerInnen im Westen

Christoph Tannert, geboren 1955, freischaffender Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher, lebt in Ost-Berlin.

Was haben Sie, Herr Tannert, mit der Ausstellung „Zwischenspiele“ zu tun?

Nur so viel, daß ich für den Katalog einen Text geschrieben habe, und der befaßt sich mit den Kunstformen, die hier in der DDR relativ neu sind und erst seit kurzer Zeit offiziell vorgestellt werden könne. Das sind Installationen und Formen von Aktionskunst: die grenzüberschreitenden intermedialen Dinge der Künstlergruppe „Autoperforationsartisten“. Es gibt aber auch für den öffentlichen Raum angelegte Plastiken einer Dresdner Gruppe sowie Installationen von Malern und Malerinnen, die sonst derlei nicht machen, aber in dieser Ausstellung Lust dazu hatten. Mit diesem Bereich habe ich intellektuell etwas zu tun, nicht aber mit der Organisation der Ausstellung.

Haben Sie Künstler vorgeschlagen, bei denen Ihnen wichtig ist, daß sie bei uns in Erscheinung treten?

Im Zusammenhang mit dem Ausstellungsprojekt nicht. Aber es ist ja bekannt, daß der DDR-Künstlerverband wie auch die Frauen von der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) lange vorher hier in der ganzen DDR geschaut haben, was möglicherweise für so eine Ausstellung infrage käme. Daß sie mit ihrem Konzept den Nerv der jetzigen Kunstentwicklung der achtziger Jahre getroffen haben, sieht man sowohl daran, daß eine ähnliche Auswahl für die gerade hier in der Nationalgalerie laufende Ausstellung „Konturen“ getroffen wurde, als auch an einer Dresdner Ausstellung, die das Kupferstichkabinett zur Zeit präsentiert.

Also gibt es in den beiden Berliner Ausstellungen keine Unterschiede?

Es gibt schon Unterschiede. Die Auswahl in der Nationalgalerie ist auf Malerei, Grafik, Plastik konzentriert und weniger auf Dinge, die Raumkunst sind oder, besser gesagt, die aus dem Raum weggehen und versuchen, etwas in der Zeit, in der Bewegung zu zeigen. Ich würde schon sagen, daß das geöffnete Konzept das der Westberliner Ausstellung ist. Sie wird zeigen, wie ähnlich die Künstler dieser Generation in West und Ost sind, obwohl sie sich nicht kennen, obwohl sie ihre Bilder vorher nicht gesehen haben und auch keinen Katalogaustausch hatten.

Sie meinen also, daß die Geschmäcker oder das, was man als progressive Kunst bezeichnet, sich nicht groß unterscheidet?

Das Wort progressiv muß man sehr mit Vorbehalt benutzen, auch das Wort Avantgarde. Was ist Avantgarde. Gerade was die DDR betrifft, so ist die hiesige Avantgarde natürlich eine Avantgarde von gestern, das ist schon mal klar. Eine postmoderne Diskussion findet nicht statt - solche Begrifflichkeiten werden hier nicht verwendet. Es handelt sich einfach um eine andere Form einer Artikulation von Gegenwartskunst.

Was heißt Avantgarde von gestern?

Das heißt, daß wir in der DDR erst in den achtiger Jahren begonnen haben, überhaupt die Stationen der klassischen Moderne abzulaufen, während sich die Amerikaner bereits in der Postmoderne befinden. Womit ich nicht dafür plädieren will, daß hier in der DDR die Jeff Cohens- und Gartenzwergkultur eingeführt wird. Das ist für mich ein kapitalistischer Marktstreich. Aber es ist schon so, daß wir hier erst Ende der Siebziger, Anfang der Achtiger begonnen haben, all das nachzuarbeiten, was das zwanzigste Jahrhundert an Aufbrüchen geliefert hat - den Expressionismus und dann später den Dadaismus; und der ist die eigentlich wichtige Wurzel, an der die Künstler hier jetzt teilhaben. Insofern ist die Avantgarde von heute eben die von damals. Natürlich mischt sich vieles. Wie will man Innovation, wie will man Erneuerung, wie will man überhaupt ein Avantgardebewußtsein fassen? Wie hoch muß der persönliche Innovationsanteil sein, daß man sagen kann, das ist Avantgarde? Diese Diskussion ist müßig. Wenn der Avantgardebegriff nicht auch sozial determiniert wird, wenn er nicht hingedacht wird auf ein kritisches Bewußtsein, das sich nicht nur mit einer ästhetischen Position, sondern auch in einer politischen Haltung äußert, dann kann man den Avantgardebegriff sowieso nicht verwenden. Und die Entwicklung der letzten Jahre - sagen wir, seit Januar 88 hat gezeigt, daß Künstler in der DDR durchaus bereit sind, diesen Avantgardeanspruch mit einer politisch manifesten Widerstandshaltung zu artikulieren. Das kann man auf Rockmusiker wie auf Performer hindenken, aber auch auf die stillen Formen verweigerter Sprungbereitschaft in bestimmten Werken.

Ist politische Kunst für Sie ein Negativbegriff?

Nein, überhaupt nicht.

Wie grenzen Sie diesen Begriff gegen eine Ästhetik ab, die Bezug nimmt auf die Verhältnisse, die sind?

Man muß unterscheiden zwischen politischer Agitation durch Kunst und einer Kunst, die sich auch in einem Wirken auf Veränderung von Gegenwart versteht. Da gibt es dann die eine Haltung, die sagt: meine ästhetische Position ist die, mit der ich mich in meinen Werken äußere, und meine politische Haltung ist die, mit der ich mich außerhalb der Kunst äußere. Und das halte ich für die gangbarere und klügere Position. Aber nichtsdestotrotz gibt es auch Künstler, die ihre plakativ-agitatorische Haltung auch gerne mit dem Werk transportieren wollen. Ich finde, daß dann immer das Werk darunter leidet. Glücklicherweise hat sich aber nun in der DDR abgezeichnet, daß sich diese typische, aus den fünfziger Jahren stammende, unemanzipierte agitatorische Form von sozialistischem Realismus abgeschliffen hat. Gerade die jungen Künstler versuchen mehr und mehr, Maßstäbe von Kunst zu finden, die sich aus dem Werk herausbilden und nicht von außen ideologisch aufgesetzt sind; sie wollen eine werkgerechte Artikulation und nicht mit ihrem Bild politisieren. Aber natürlich erfüllt jedes Bild, egal, wo es hängt, einen politischen Anspruch. Sonst würden ja hier die Kontrahenten nicht so stark gegeneinander kämpfen.

Wenn ich Ihre Argumentation zu Ende denke, würde das logisch heißen, daß die DDR gar nicht in die Versuchung kommen kann, der Westkunst nur noch hinterherzuhinken, sie verspätet - quasi im „cultural lag“ - nachzuvollziehen. Denn die gesellschaftlichen Verhältnisse sind hier ja andere. Es kann, wenn das richtig ist, gar nicht zu einem Nachholen der Stationen der Moderne kommen.

Nein, ich habe gesagt, unsere hiesige Kunst ist eine Avantgarde, die die Avantgarde von gestern ist. Sie befinden sich ja in der Postmoderne, während wir die Moderne immer noch abstoppeln.

Heißt abstoppeln nicht trotzdem, daß Sie es parallel verschoben zu uns machen?

Nein, aus unseren eigenen Bedingungen heraus. Daß diese Bedingungen in der Postmoderne, auch in ihrer Beliebigkeit, durchaus auch einen Marktmechanismus bedienen, sieht man an dem Funktionieren des DDR-Kunsthandels, der ja im Westen kräftig verkauft. Da heute alles möglich ist: das Gestrige wie auch das Gestrige im heutigen Gewand - und die breite Palette der Angebote einfach vorhanden ist, hat auch DDR -Kunst auf dem Weltkunstmarkt eine Chance, nur eine kleine, aber sie hat sie. Es gibt Sammler, die DDR-Kunst kaufen. Nicht nur die großen Namen der Viererbande.

Wer ist denn die Viererbande?

Es hat sich doch ein Händlerverhalten und ein ganzes kommerzielles System in der Bundesrepublik herausgebildet, das Arm in Arm mit dem DDR-Kunsthandel DDR-Kunst auf dem Weltmarkt verscherbelt.

Die Viererbande ist also eine Westbande, die...

Nein, die Viererbande, das sind DDR-Künstler. Also Sitte, Heisig, Tübke, Womacker. Und manchmal gehören noch andere dazu. Es sind halt die Künstler, die man seit der vorvergangenen Dokumenta erstmalig im Westen gezeigt hat; damals lief, glaube ich, sozialistischer Realismus noch unter Pornografie. Das war der erste Auftritt von DDR -Künstlern auf einer westlichen Bühne; das lief anfänglich so, daß diese Großen, die einerseits hohe Positionen im Künstlerverband hier besetzten, auf der anderen Seite auch präsent waren an den Kunsthochschulen, als Rektoren beispielsweise, über den DDR-Künstlerverband ihre Person gerne als Repräsentanten der DDR im Ausland darstellten. Die haben die ersten Geschäfte gemacht. Erst sehr viel später hat man gemerkt, daß es ja nicht nur diese Generation gibt, die malt, sondern auch noch drei andere - die ganz Alten, die Mittleren und die Jungen - und daß die alle auch Werke anzubieten haben, die interessant sind. Möglicherweise noch interessanter als die, die man zehn Jahre lang ausgestellt hat. Das hat Brusberg als einer der führenden Geschäftemacher mit der DDR in größeren Ausstellungen deutlich gemacht. Dazu kommt die Sammlung Ludwig, die ja eigentlich keine Sammlung ist, sondern so eine Art Dokumentationsbezirk: der fährt rum in den großen Ausstellungen und kauft einfach das, was man ihm rüberhilft, von dem er dann meint, glauben zu können, es wären die Spitzen der DDR-Kunst. Die Westberliner Ausstellung geht insofern über derlei Präsentationen hinaus, als dort möglicherweise auch ein Angebot im Hinblick auf Prozeßkunst gemacht wird.

Dazu mußten die Künstler doch ganz praktisch rüberreisen vorher, um ihre Werke zu installieren.

Das haben sie auch getan, weil sie dazu die Möglichkeit hatten. Das sehe ich auch als eine Form von Veränderung an. Daß die Reisepolitik des Künstlerverbandes, was diese Ausstellung anbetrifft, sehr viel weniger restriktiv erfolgte als bei anderen. Es ist immerhin eine große Anzahl von Künstlern, die ausstellt.

43 Künstler und Künstlerinnen genau, und in der Nationalgalerie sind es 48.

In Dresden 40, und so heißt sie auch „Vierzig unter vierzig“. Und es sind in allen drei Ausstellungen etwa dieselben Künstler.

Bei dem Begriff „junge Künstler“ haben wir ein bißchen gelächelt.

Der älteste ist Jahrgang '48 und der jüngste Jahrgang '63. Eine ganze Reihe ist zwischen '56 und '63 geboren. In der DDR ist man junger Künstler bis zum 35. Lebensjahr; das hängt mit den Förderungsbedingungen zusammen und ist ein Begriff, der eine soziale Sphäre bezeichnet. Der Begriff jung ist schwachsinnig. Wenn man fragt: Was ist jung in der Kunst, dann gibt es durchaus Richtungen, die von Leuten bearbeitet werden, die 90 sind. Mit dem jung sollte angezeigt werden, daß es sich hier um eine Generation handelt, die sonst nicht so präsent war und die nun auch in der DDR mit Macht an die Öffentlichkeit drängt. Und das sind nun mal die, die nach 1950 geboren sind. Die haben auch die eigentlichen Umbrüche in der DDR-Kunst vollzogen. Nur daß in der DDR bis auf kleine Faltblätter kaum etwas darüber geschrieben wurde. Wir haben über zehn Jahre in diesem Lande keine Veröffentlichungen zur aktuellen Kunstpolitik gehabt. Das hat mit der Angst der Funktionäre gegenüber diesen Neuerungen in der Kunst zu tun, die ja auch Widerstandshaltungen sind; und das hat auch zu tun mit dem sehr leidigen Problem der hiesigen Verlagspolitik.

Heißt das, daß sich jetzt auch mehr Galerien öffnen für solche Kunst?

Die letzten Jahre gab es einen regelrechten Boom. Die meisten Galerien haben hier in der DDR in den großen Zentren - Berlin, Leipzig, Halle, Dresden - vorwiegend junge Künstler ausgestellt. Es gab einen riesigen Nachholbedarf. Auch die Galeristenszene ist eine andere als noch vor zehn Jahren. Es sind vorwiegend jüngere Leute, die das jetzt anschieben. Und neu hinzugekommen ist, daß es seit ein paar Jahren einen jungen Mann in Leipzig gibt, der eine Selbsthilfegalerie ins Leben gesetzt hat, die avancierte Kunstformen zeigt. Das gab es vorher nicht.

Was heißt Selbsthilfe in dem Zusammenhang?

Die Galerie heißt „Eigenart“ und ist privat organisiert, also weder nichtkommerziell-staatlich noch kommerziell -staatlich. Sie ist durch eine Künstlerinitiative gegründet worden und, wie ich weiß, die einzige Selbsthilfegalerie, die in dieser Art funktioniert. Monatlich werden Ausstellungen mit jungen Künstlern gezeigt; es werden selbst hergestellte Kataloge editiert; zu jeder Ausstellung gibt es ein Faltblatt; es gibt ein Dia-Archiv und Videoaufzeichnungen. Das ist auch gegenüber anderen Galerien in der DDR einmalig.

Wird diese junge Kunst jetzt auch in der DDR gekauft?

Ich denke schon. Aber eigentlich hat die DDR keinen Markt für solche Dinge. Das Glück ist aber, daß man junge Künstler relativ preiswert bekommt.

Aber die jungen Künstler sind nicht angewiesen auf die Erlöse aus ihren Verkäufen?

Nicht unbedingt. Es besteht hier ein enorm gutes Sicherungsnetz. Es gibt sehr viele Auftragsangebote, die entweder über Institutionen kommen oder über Verträge mit Betrieben. Aufträge für Wandgestaltung, zum Beispiel für Innenraumgestaltung, Bauzaunbemalung oder typografisches Gestalten - kurz: für alle Formen angewandter Kunst. Es gibt sehr viele Künstler, die mit ihren freien Arbeiten zu Ausstellungen erscheinen und ansonsten alles mögliche machen. Auf der anderen Seite, wenn ein Künstler im Jahr zwei größere Bilder verkauft, für je 5.000 Mark zum Beispiel, dann ist das eine ziemliche Summe, wenn man etwa 700 Mark im Monat für Lebenshaltungskosten rechnet.

Gibt es eigentlich eine Begrenzung beim Zugang zu Kunsthochschulen?

Es gibt keinen numerus clausus wie im Westen. Die Studienpolitik, ob an Kunsthochschulen oder anderen Hochschulen und Universitäten, wird über eine zentrale Hochschulpolitik gelenkt. Und der Staat genehmigt sich nur so viele Studenten, wie er möglicherweise später auch unterbringen kann.

Gilt das nicht nur für die „notwendigen“ Berufe?

Nein, im Kunstbereich ist es genauso. Wenn Studenten ein Diplom an einer Kunsthochschule erlangt haben, erhalten sie drei Jahre lang ein Förderstipendium, soweit sie sich an einen bestimmten Ort vermitteln lassen. Das zahlt der Staat einfach frei, und Studiengebühren gibt es bei uns nicht. Im Zuge der allgemeinen Finanzschwierigkeiten muß allerdings auch im Kulturbereich gespart weden. Das heißt, daß die Immatrikulationszahlen in den letzten Jahren stark gedrückt wurden. Soviel ich weiß, gab es jetzt an den Kunsthochschulen, im Bereich Malerei zum Beispiel, nur zwei Neuaufnahmen.

Gibt es unter den ausstellenden jungen Künstlern auch Autodidakten?

Das ist die andere Seite der Medaille. Wenn einer nicht studieren kann, so kann er sich doch autodidaktisch fortbilden und irgendwann mit seinen Arbeiten beim Künstlerverband vorstellen, um die Legitimation zu erhalten, daß er als Profi freischaffend arbeiten darf. Und in der letzten Zeit sieht sich der Künstlerverband stark von Autodidakten frequentiert. Die Entscheidung, wer Mitglied im Künstlerverband wird, treffen die Künstlergremien in den entsprechenden Bezirksverbänden. Dort wird dann nach Qualität, vor allem aber auch nach den Schulhaltungen der entsprechenden Gremien entschieden. In Berlin zum Beispiel gibt es eine starke Lobby, die eine ganz bestimmte Form sensualistischer Berliner Malerei auf ihren Schild gehoben hat. Und dort haben es dann natürlich expressive Leute sehr viel schwerer. Würden sie nach Dresden gehen, hätten sie es möglicherweise leichter. Aber - und das ist wieder so eine Klausel - man darf sich nur dort vorstellen, wo man auch wohnt. Es hat sich aber doch herausgestellt, daß das Kunst und Kulturgefüge in der DDR so offen ist, daß es verschiedene Strömungen gibt. Die explosiven Richtungen sind stärker in Sachsen präsent, während in Berlin ein Kunstgemisch herrscht, mit Schwerpunkt aber in der sogenannten sensualistischen Berliner Malerei und all ihren Querverbindungen.

Was meint denn sensualistische Malerei?

Das ist ein Begriff aus den sechziger Jahren. Er meint eine auf Feinstofflichkeit und eine gewisse Sinnlichkeit orientierte Malerei, die sich, wenn man die Themen anschaut, mit den sogenannten stillen Themen verbindet: Akt, Stilleben, Häuserfassaden... Er meint auch eine bewußte Abgrenzung gegen literarisierende Tendenzen in der Kunst, die in Leipzig stark vertreten waren, oder auch gegen Historienschinken. Diese Stilrichtung ist ein bißchen französisch nachcezannesk möglicherweise und auf jeden Fall stärker an der Form interessiert als am Inhalt.

Kennen Sie Fälle von jungen Malern, die sich ihre Kunst selber beigebracht und jahrelang erfolglos ihre Arbeiten vorgeführt haben? Solche, bei denen es schade ist, daß sie die TÜV-Kontrolle nicht passiert haben?

Das gibt es immer wieder, und es ist auch schade um solche Leute.

Was machen die dann, stellen die privat und heimlich aus?

Entweder stellen sie in „Galerien für Volkskunst“ aus, wobei in den meisten Fällen ihr Selbstverständnis ein anderes ist; dort stellen nämlich die Hausfrau und der Handwerker aus, die nebenbei so ein bißchen malen. Oder es bietet sich ihnen die Gelegenheit, über Künstlerinitiativen in Ateliers von befreundeten Künstlern auszustellen oder auch in Selbsthilfegalerien. Nur leben können sie so von ihrer Kunst nicht. Denn dazu brauchen sie eben die staatliche Zulassung. Ich muß allerdings sagen, daß in den letzten zehn Jahren die Wahl derjenigen Künstler, von denen man sagen würde, das ist aber schade, daß die nicht im Künstlerverband sind, verschwindend klein ist. Die kulturpolitischen Entwicklungen haben eben doch eine leichte Öffnung des Horizonts möglich gemacht: Leute, die früher entschieden: das ist Dreck oder Dilettantismus, haben jetzt einfach keine Basis mehr.

Glauben Sie, daß diese Entwicklung durch die Käuflichkeit im Westen beeinflußt worden ist?

Nicht unbedingt. Eher hat es mit der Kunstentwicklung im Lande zu tun; damit nämlich, daß in den achtziger Jahren immer mehr Künstler, die die Hochschulen absolviert haben, mit ganz freakigen und ausgebufften, schrägen Lösungen in der Öffentlichkeit erschienen sind, so daß sich das allgemeine Kunstklima durch diese Kunstprodukte geöffnet hat. Und zu den Künstlern mit Hochschulabschluß konnte kein Funktionär sagen: das ist Dreck, oder: das hat mit uns nichts zu tun. Beuys‘ erweiterter Kunstbegriff hat enorm viel ermöglicht, obwohl er ja nie hiergewesen ist. Man hat Beuys zu Lebzeiten immer nicht reingelassen. Nach seinem Tode dann gab es eine Ausstellung.

Wurden diese Jungen Schrägen durch ihre Professorenväter ermutigt, oder handelte es sich eher um Widerstandsakte?

Sowohl als auch. Ein starker Vater kann nur gut sein für die Abnabelung des Sohnes; ebenso wie ein verständnisvoller Vater den Sohn in seinen Fähigkeiten fördern kann. Die starken Malerväter sind übrigens in Leipzig zu Hause und haben entsprechend harte Trennungen provoziert: die weicheren lehren in Dresden. Dort hat es schon sehr viel länger eine Art laissez-faire gegeben, oft dann aber mit qualitativen Abstrichen. Wenn man alles machen kann, sind auch viele Dinge dabei, die einem entgleiten. Es gibt darüberhinaus viele Ziehväter, die gar nicht an den Hochschulen sind. Autoritätsfiguren im Lande, an denen man sich orientiert. Leute wie Hartwig Ebersbach in Leipzig, Carlfriedrich Claus in Annaberg, Eberhard Göschel in Dresden. Und immer noch eine heimliche Autorität ist Jürgen Böttcher-Strawalde. Er hat den Kreis in Dresden gegründet, aus dem auch Penck hervorgegangen ist. Obwohl Böttcher stärker als Filmemacher in Erscheinung getreten ist und die wenigsten sein malerisches Werk kennen, ist er für die Künstler nach wie vor jemand, der sehr geschätzt wird, durch alle Strömungen hindurch. Wenn er eine Ausstellung macht, kommen Dresdener und Berliner, obwohl die sich zum Teil nicht riechen können.

Gibt es so starke Animositäten zwischen den Schulen?

Jeder Künstler braucht das wahrscheinlich, die Hackordnung und die Abgrenzung gegenüber Ähnlichem wie auch gegenüber Anderem, einfach um seine Individualität weiter zu festigen. Künstlerfreundschaften sind etwas ganz Seltenes in der DDR.

Dabei hatte ich in Dresden den Eindruck, daß da ganz dicke Künstlerfreundschaften bestehen.

Das sind dann diese Notgemeinschaften, die in dem Moment funktionieren, wo es negative äußere Einflüsse gibt. Wenn sich die aber in Wohlgefallen auflösen, beginnen diese Gruppen zu bröckeln, und der solidarische Zusammenhalt läßt nach. Das hat beispielsweise auch dazu geführt, daß Gruppen aus Dresden dann sukzessive nach Ost-Berlin gegangen sind, sich hier gar nicht wieder reformiert haben und dann irgendwann im Westen auftauchen, aber nicht mehr als Gruppe, sondern als Einzelpersonen.

Wie ist denn der Austausch zwischen den sozialistischen Bruderländern? Gibt es da irgendwelche Wechselwirkungen?

Über die Künstlerverbände der Länder wird nach Programmen gefördert. Diese Programme können aber natürlich nicht den persönlichen Kontakt ersetzen. Die individuellen Kontakte sind ja viel nachhaltiger als die agitatorischen Repräsentationsakte.

Gibt es Auslandsstipendien?

Sicherlich gibt es die. Auch für das westliche Ausland. Das ist geregelt von Hochschule zu Hochschule. Aber ansonsten ist es mit Stipendien nicht so weit her. Es ist sogar schwierig, Studienreisen in diese Länder zu bekommen. Das liegt besonders an der Finanzsituation der empfangenden Länder. Es geht immer nur: schickst du fünf Künstler, schicke ich fünf Künstler. Weil der Ostblock allgemein kein Geld hat, ist Austausch eigentlich kein Medium für die Künstler. Aber es gibt sehr viele Künstlerfreundschaften. Und die sind das eigentlich Befruchtende, zwischen Polen und der DDR oder Ungarn und der DDR; nicht die Programme, auch nicht die großen Ausstellungen, sondern die Zusammenarbeit von Performern, zum Beispiel in Polen und der DDR oder von Filmemachern in der CSSR und der DDR. Es funktioniert auf einer Ebene, die nicht über die Verbände und auch nicht über staatliche Institutionen kontrolliert ist.

Gibt es ein Einverständnis darüber, woher man sich bei Ihnen die größere Innovation zu erwarten hat, eher aus dem Osten oder eher aus dem Westen?

Seit DDR-Künstler stärker nach Westeuropa reisen können, über Studienreisen und über Einladungen, was ja gegenüber der DDR-Bevölkerung ein großes Privileg ist, seit dieser Zeit hat sich der Horizont derjenigen, die reisen konnten, erweitert. Inwiefern nun aber auch etwas von diesen erlebten Dingen eingegangen ist in die Werkentwicklung, das ist nur sehr, sehr schwer auszumachen. Ich habe das Gefühl, daß diese Reisen als ein normales Menschenrecht wahrgenommen werden und weniger im Sinne der Beförderung von Kunst und Werk. Vielleicht ist diese Entwicklung aber noch nicht abgeschlossen, vielleicht kann man jetzt noch nicht sagen, was aus der Westkunst in die DDR-Kunst eingeflossen ist. Ich sehe jedenfalls, mit was für einem Heißhunger die Leute sich die Welt und die Museen und alles mögliche erobern. Da wird nicht unbedingt geguckt: was befruchtet mich in der Kunst. Ich könnte nicht sagen, ob die Innovation, die man sich erhofft, nun eher im Osten oder im Westen liegt. Die Kontakte, die Künstler über Studienreisen haben, liegen aber eher im Westen. Nach den jüngsten Entwicklungen in Ungarn und in Polen könnte ich mir allerdings durchaus vorstellen, daß die Aufmerksamkeit von DDR-Künstlern auch verstärkt in diese Richtung geht.

Wenn ein DDR-Künstler eine Ausstellung zum Beispiel in Dortmund machen möchte, kann er das einfach so, oder muß er sich dafür eine Erlaubnis holen?

Die DDR ist groß mit ihrem Erlaubniswesen. Die Verbürokratisierung ist eine besondere Spezialität dieses Landes. Ein Künstler kann sich über den Kunsthandel die entsprechende Einladung schicken lassen, wenn das eine kommerzielle Angelegenheit ist; dann werden die Konditionen mit dem staatlichen Kunsthandel der DDR gemacht. Wenn es eine nichtkommerzielle Ausstellung sein soll, können sich die Einladenen an den DDR-Künstlerverband wenden, und dann wird das bei den entsprechenden Stellen wohlwollend geprüft. Was am Ende dabei rauskommt, ist ungewiß. Die Zahl solcher Projekte nimmt ständig zu und der DDR-Künstlerverband fühlt sich schon überfordert, wenn er all die Reiseanträge bearbeiten und die Angebote für Ausstellungen prüfen soll. Deshalb wird überlegt, daß man neue Stellen für Ausstellungsvermittlung einrichtet.

Was halten Sie von Ex-DDRlern, die in West-Berlin oder Westdeutschland leben und sagen: es dürfen keine gemeinsamen Ausstellungsprojekte in der DDR unterstützt werden, bevor man nicht Reformen eingeklagt hat.

Auch wenn mir nicht bekannt ist, wer diesen Standpunkt vertritt, hätte ich mir gewünscht, daß diese Leute in der DDR geblieben wären und hier versucht hätten, diese Reformen einzuklagen. Was ansonsten diese Formen von Zusammenarbeit betrifft, so kann ich nur sagen, es ist die persönliche Sache jedes einzelnen, das zu entscheiden. Die DDR zieht mit ihren Forderungen den kapitalistischen Geldgeber immer irgendwie über den Tisch. Diese Boykottpolitik nutzt überhaupt nichts. Es kommt eher darauf an, mit eigener Stimme seine Position deutlich zu machen, die Chancen zu nutzen und sich und seine Arbeit zu zeigen. Daß da ein Land mit dranhängt, ist ja selbstverständlich. Ich jedenfalls mag das nicht, wenn mir von irgendwoher Ratschläge erteilt werden. Natürlich müssen Reformen eingeklagt werden, aber eben von hier. Diese Verhinderungspolitik, mit der Leute im Westen versuchen, wohlmeinend zu erpressen, ...das zieht meistens nicht. Wir sind dann nämlich diejenigen, die diese Ausstellung nicht zu sehen kriegen: Wir, die wir nicht fahren können. Es wäre viel besser, solch eine Ausstellung von Westkünstlern bei uns zu machen und dann an Ort und Stelle per Statement laut und persönlich zu sagen, was davon zu halten ist.

Ich weiß von ehemaligen DDRlern, daß sie sich in einer ganz unglücklichen Lage fühlen: ihr Zuhause ist immer noch die DDR, aber sie können beim Reformprozeß dort nicht mehr mitreden. Und die Leute in der DDR wollen schon gar nicht mehr hören, was die Ehemaligen für gut befinden.

Das ist eben die deutsch-deutsche Lage. Wenn man etwas verändern will, dann soll man es nicht in diesen ausgefahrenen politischen Kategorien machen - ich hier und ihr dort. Man sollte mit einer deutlichen Haltung das äußern, was zu äußern ist. Man sollte Gruppen gründen, dort, wo sie nützlich sein könnten, aber man sollte aufhören, das immer gleich zu deklarieren. Vielfach ist so eine gewisse Larmoyanz dabei: Nun schaut mal her, ich bin auch einer, der irgendwie irgendetwas unterstützt. Ich gehöre zu euch! Das bringt nichts. Viel wichtiger als dieses Geschrei sind die sich unter der Oberfläche vollziehenden solidarischen Akte.

Ist eine Malerin wie Bärbel Boley eigentlich auch zur Beteiligung an der Ausstellung aufgefordert worden?

Da das Alterslimit auf 35 Jahre festgelegt worden ist, konnte sie nicht gefragt werden. Sie zählt zur mittleren Generation. Ich bin mir ziemlich sicher, daß es nicht ein politischer Akt gewesen ist, sie nicht zu bitten. Daß der Name Boley eine gewisse Irritation bei den politischen Institutionen auslöst, ist nicht zu bestreiten. Ähnliche Schwierigkeiten hatte auch Beatrice Stammer in ihrem Katalogtext über Künstlerinnen in der DDR. Mit mißliebigen Personen tun sich der Künstlerverband und die ihm übergeordneten Gremien sehr schwer; ob sie hier leben oder ob sie in den Westen gegangen sind und dort leben, oder ob sie DDR-Bürger sind und ein paar Jahre im Westen leben, sie tun sich schwer damit, ihre Namen in der Öffentlichkeit zu nennen, ihre Kunst zu präsentieren oder darüber zu sprechen, welche Spuren sie hier hinterlassen haben. Insofern ist es ein Novum, daß ich in meinem Text für den Katalog Namen von Künstlern nennen durfte, die in den Westen gegangen sind. Auf wessen Entscheidung das zurückzuführen ist, weiß ich nicht. Wenn das allerdings der Trend sein sollte, würde ich das als einen ersten Schritt zu einer angemessenen Aufarbeitung der Vergangenheit sehen.

Zum Stichwort Frauen: Ist die DDR besser als die Bundesrepublik? Gibt es zum Beispiel auch eine nennenswerte Zahl von Professorinnen?

Es gibt Professorinnen, und es gibt auch Malerinnen, viele Malerinnen.

Und gibt es vielleicht sogar die Schule einer Frau?

Nein, das gibt es nicht. Und man kann auch nicht sagen, trotz der Professorinnen an jeder Hochschule, daß im künstlerischen Bereich eine weibliche Emanzipation stattgefunden hat, die spürbar gewesen wäre. Frauen haben hier nach wie vor um ihre Plätze zu kämpfen. Das liegt nur daran, daß Männer immer eher dagewesen sind. Deshalb haben auch die West-Berliner Frauen, die diese Ausstellung mitorganisiert haben, ihr Augenmerk auf die Frauen gelenkt. West-Berliner und westdeutsche Galeristen stellen Frauen auch nicht aus und DDR-Frauen schon gar nicht. So werden mehr Frauen als in der Nationalgalerie und auch als in Dresden vorgestellt.

Haben Sie Lieblinge in der Ausstellung?

Sicher habe ich Lieblinge: für die habe ich mich auch zu schlagen versucht. Wenn ich keine Lieblinge hätte, würde ich gar keinen Sinn darin sehen, meine Texte zu schreiben und meine Arbeit zu tun. Die Autoperformance zum Beispiel.

Was meint das genau?

Eine Künstlergruppe der Selbstaufreißer. Das ist einfach ein Freakverbund, eine Spaßguerilla im neodadaistischen Gewand und doch sehr ernsthaft. Die zerren sich wirklich nicht nur sinnbildlich, sondern körperlich - die Haut vom Leibe. Nicht etwa, um Spaß damit zu machen, sondern um diese Formen von aktueller Verletzung zu präsentieren. Sie sind so hart, daß sie die Waffen auch gegen sich selbst richten. Manchmal hat das. was sie vorführen, eine extrem sadomasochistische Variante. Es gibt im übrigen wenige Künstler, die auch Intellektuelle sind. Es heißt zwar immer: Bilde Künstler, rede nicht! Aber gerade heute ist die Artikulation eine wichtige Form, auch neben sein Werk zu treten. Dabei geht es nicht um Erläuterung, sondern um andere Antworten, die das Kunstwerk nicht leisten kann. Das ist eine Kunst, wenn ein Künstler das kann. Und die Autoperforationsartisten gehören dazu.

Spürt man nicht gerade in der Off-Kunstszene den Weggang vieler junger Künstler?

Man kann überhaupt nicht sagen, daß durch den Weggang von Leuten etwas eingeschlafen wäre. Im Gegenteil. Die Alternativszene ist gerade in der letzten Zeit richtig aufgeblüht. Der Verlust ist groß. Aber der Humus ist so reichlich, daß aus dem Wurzelgeflecht immer neue Blüten sprießen. Fast könnte man sagen, daß durch bestimmte Szenefürsten etwas in der Öffentlichkeit verbaut wurde. Seit einige weg sind, wird sehr viel deutlicher, wie breit die Alternativbewegung eigentlich ist; und das betrifft die Produktion von Kunst-Lyrik-Heften, von Tonbandkassetten und einzelne Single-Platten, überhaupt die ganze Konzertszene. Es gibt inzwischen auch selbständige Produktionen für Foto, Super-8-Filme und alternative Architekturkonzepte, etc....

Also ist es anders als mit den Frisören, Bäckern und Ärzten, die Löcher hinterlassen?

Löcher sind das immer. Aber es gibt eine Verschiebung, die durchaus auch Potenzen freisetzt, die man vorher nicht wahrgenommen hat.

Ist die Stimmung weniger depressiv als noch vor fünf Jahren?

Die Stimmung ist sehr viel härter, sehr viel entschiedener, sehr viel radikaler und insofern auch deutlich hoffnungsvoller. Die Erfahrung, daß der Gang auf der Straße etwas bewirken, daß man der Gewalt entgegentreten kann, ist von so enormer Stabilisierung für viele Leute gewesen, daß es nur nach vorne gehen kann.

Im Westen geistert der hämische Satz herum: Künstler, die in der DDR geblieben sind, sind nur geblieben, weil sie nur dort etwas sein können.

Ach ja, der Beuyssche Spruch „Es gibt Leute, die sind nur in der DDR gut“.

Und was halten Sie von diesem Satz? Immerhin haben Sie ihn an der Wand hängen.

Wer nur hier gut sein kann, ist irgendwie eine Flasche. Eine künstlerische Potenz muß sich natürlich auch daran messen, wie sie in der Welt steht. Deswegen muß hier auch Öffnung und Öffentlichkeit erzwungen werden. Auf der anderen Seite ist es so, daß im Westen ganz andere Gesetze gelten und daß dort einiges verschlissen wird, was hier einen ganz anderen Wert hatte.

Was können sich denn die Künstler erhoffen mit ihrem Erscheinen in West-Berlin? Mit welchen Wünschen wird das verbunden sein?

Sicher spielt für viele eine Rolle, über den eigenen Tellerrand präsent zu sein. Man weiß ja nicht, wie die Reaktionen sein werden. Es wird sicher kein großes Echo geben. Aber das Gefühl, im Ausland ausgestellt zu haben und dort gewesen zu sein, ist für den eigenen künstlerischen Werdegang ein Aufmerksamkeitszeichen. Auf der anderen Seite ist natürlich eine Einzelpräsentation ein sehr viel lukerativeres Angebot. Insofern hätte ich es durchaus verstanden, wenn DDR-Künstler gesagt hätten, nein, da mache ich nicht mit. Ich weiß zum Beispiel, daß DDR-Künstler bei anderen Angeboten, die sich nicht interessant fanden oder ihren Bedingungen entsprechend, auch abgesagt haben. Man kann also nicht sagen, daß hier der Ausverkauf stattfindet: Hauptsache, im Westen!

Es gibt ja auch die Gegenmeinung im Westen: Die DDR -Künstler haben ein viel größeres handwerkliches Vermögen.

Ach Unsinn: Kunst kommt nicht von Können. Das ist doch konservativer Schwachsinn! Die das meinen, das sind genau dieselben konservativen Köpfe, wie wir sie hier haben. Deswegen verstehen die sich auch so gut. Deswegen hat man auch Stelzmann, den Leipziger Maler, nach West-Berlin eingeladen. Die sind so handwerklich ausgerichtet, daß ihnen jeder Biß flötengegangen ist. Ich plädiere immer für Pluralismus: aber wenn ich nach Kunst gefragt werde, kommt das, was ich zu sagen habe, nie von Können, sondern meint eine bestimmte Form der Intensität, die weder durch Handwerk gesteigert, noch durch Handwerk kaputtgemacht werden kann. Es ist ja nicht die Frage: was ist Kunst, sondern: wann ist Kunst? Man muß sich endlich dazu durchringen, daß Kunst in einer Zeit, einem sozialen Gefüge steht, die morgen schon anders sein können.

Ich freue mich, daß die Auszehrung, die der Westen beschwört, gar nicht stattfindet.

Das nicht. Aber die Namen müssen endlich genannt werden. Und zwar hier. Das Verrückte ist ja: die Wiedervereinigung hat schon längst stattgefunden, wenn wir die Bilder der Fortgegangenen hier zeigen und sie ihre neuen Bilder dort. Ist Penck nun ein West- oder ein Ostmaler? Er selber wird sagen, er sei ein deutscher Maler.

Heißt das, man soll wieder von deutschen Malern sprechen?

Auf gar keinen Fall. Das ist mir alles zuwider. Ich will nur sagen, daß in der Kultur die politischen Grenzen schon längst aufgebrochen sind, und zwar gerade durch jene, die die Grenzen immer neu gezogen haben: Je stärker hier gemauert wird, umso deutlicher bilden sich Geflechte, die durch die Maschen dringen.

Das Gespräch mit Christoph Tannert führten Christe

Dormagen und Michaela Ot