„Ich könnte die ganze Nacht weitermachen...“

■ Das Steglitzer Konsumparadies / Der verkaufsoffene Donnerstag: ein Selbstversuch / Olga O'Groschen im Dienstleistungsrausch / Gibt es eine Symptomatik des zwanghaften Konsums? / Und noch ein Schnäppchen und...

16Uhr10. Der Redakteur an der Strippe beauftragt mich, den verkaufsoffenen Donnerstag zu erforschen und den geneigten Lesern vorzustellen. „Ja, Meister, aber gern“, stottere ich dankbar, raffe Kreditkarten, Schecks und Bargeld zusammen und ordne meine weltlichen Angelegenheiten. Angstgefühle beschleichen mich, aber auch gewisse Vorfreude.

17.42Uhr. Freudig erregte Gesichter schon in der U-Bahn. Statt sich vor die Glotze zu kleben, durchstreifen heute viele BerlinerInnen erlebnishungrig die abendliche Stadt. Gewiefte Rentner, mit Einkaufsnetzen ausgerüstet; Ex-DDR -Familien mit blonden deutschen Kindern, die Frauen mit hochaktuellem 70er Jahre Make-up. Büroangestellte, fein herausgeputzte Schülerinnen. Man kommt schnell ins Gespräch. „Wir machen ja seit Jahren Schaufensterbummel“, prahlt ein Herr mit Handgelenktäschchen.

18.02Uhr. In der Wilmersdorfer Straße haben die meisten Läden dicht. Außerdem nieselt es. Die rechte Freude will nicht aufkommen. Die Kunden sind zu hastig, nicht gelöst. Im Jeans Terminal tauche ich in die Welt der Mode ein, entscheide mich rasch für eine schicke Jeans, geschmeidig weich, mit Paspeltaschen. „Ein Hosenmeisterstück“, strahlt die Verkäuferin. Da nehme ich einen Lollipopp-Blouson für 29,50Mark gleich mit. Zwei Freundinnen befühlen geduldig die Kleider, kneten sie durch, beschnüffeln den Stoff. Ein ältere Dame dreht sich im lila-schwarzen Blaser vor dem Spiegel. „Ein unentbehrlicher Kombipartner“, schmeichelt der Verkäufer. Der Gatte wartet ergeben an der Kasse.

18.27Uhr. Im Mammut Schuh-Center steht ein Lautsprecher vor der Tür, ein Animateur mit Mikrofon lockt. Ich entdecke ein hübsches Paar quittengelbe Gummistiefel aus PVC, oben abschnürbar, nur 20 Mark. Die Plastebadelatschen sind für nur fünf Mark ein willkommenes Schnäppchen. Danach falle ich erstmal erschöpft in die rotgepolsterten Sitznischen bei Burger King und verdrücke einen Cheeseburger de luxe für 3,95Mark.

18.50Uhr. Ein ganz schiefes Bild auf der Schloßstraße in Steglitz. Menschenmassen schieben sich vorbei. Man bummelt. Beim Juwelier deute die Gattin auf einen Diamantring, in der Boutique wird ein witziger Paillettenpulli anprobiert. Ungeahnte Wünsche werden wach. Im Geschenke-Shop stoße ich auf einen Herrenbikini aus zarter „Haute Wolle“, für 17Mark. Dann dieser Ostfriesenbecher (Henkel innen). Wer kann da wiederstehen? Ich nicht. Das junge Ehepaar neben mir kauft zwei Porzellankätzchen. Auch sie kommen aus der DDR. „Toll, dieses Angebot am Abend“, finden sie, „die Ausreise hat sich gelohnt“.

19.02Uhr. Im Forum Steglitz geht es hoch her. Fußgängerzonen sind witterungsanfällig, Passagen zu klein; die Shopping Mall lädt zum modernen Einkauf. Musik brandet aus jedem Laden, die Rolltreppen ächzen vollbesetzt, eine Jazz-Kapelle spielt. Steglitzer Familien mit heiratsfähigen Töchtern schlendern vorbei, Singles und Swinger schließen kaufend Bekanntschaft. Bei mir stellen sich erste Symptome des zwanghaften Konsums ein, im Zoo-Laden sacke ich ein Dutzend quiekender Meerschweinchen ein. Steglitzer Omas schmelzen beim Anblick plärrender Hundebabies dahin. Endlich in Ruhe alles anfassen. Ohne Hektik herumwühlen. Ohne Streß die Angebote wahrnehmen. Ein vergoldetes Armband mit der Aufschrift „Jutta“ wandert in meinen Korb. Im Finnland Shop gesellt sich eine Mari Mekko-Bluse für 243,50Mark dazu.

20.18Uhr. Mittlerweile habe ich mir ein Puppe „Superstar Barbie„ mit Kosmetik-Set (ab 3 Jahren) dazugekauft, für meine Neffen einen Modellbausatz der Ju88A4 ausgewählt. Einen Stapel witziger Postkarten habe ich mir auch gegönnt. Die Verkäuferinnen sind so nett, so entspannt. Ich könnte die ganze Nacht weitermachen. Aber das halbe Kilo Eierlikörbohnen zum Sonderpreis von 30Mark gibt mir schließlich den Rest, Zuhause beginne ich sofort mit der Spesenaufstellung für die taz.

Olga O'Groschen