Wer weist hier eigentlich wen an?

■ Die Flüchtlingsweisung ist in zahlreichen Fällen außer Kraft, weil die Ausländerbehörde querschießt / Die Behörde verschickte sogar Ausreiseaufforderungen / Eine endgültig verbindliche Fassung der Weisung ist Thema der nächsten Koalitionsrunde

Eigentlich sollte es ein Modellfall für eine humane Flüchtlingspolitik werden, doch die Flüchtlingsweisung vom 20.Juni 1989 hat sich für den rot-grünen Senat längst zum Lehrstück über die Subversivität von untergeordneten Verwaltungsbehörden entwickelt. Was Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen einmütig beklatscht hatten, löste in der Ausländerbehörde Widerwillen aus: der Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis für Flüchtlinge, die bereits länger als fünf Jahre in Berlin leben, oder die aufgrund der Situation in ihrem Heimatland nicht zurückkehren können.

Statt der beantragten Aufenthaltserlaubnis erhielten zahlreiche Flüchtlinge in den letzten Wochen den lakonischen Bescheid, die Ausländerbehörde beabsichtige keineswegs die Erteilung einer solchen. In den Begründungen schimmert oft genau die Schlitzohrigkeit und Berufserfahrung durch, die den Verantwortlichen in der Innenverwaltung beim Durchsetzen der Weisung offenbar fehlt. Einer Kurdin aus der Türkei zum Beispiel wurde mitgeteilt, ihr sei der Aufenthalt in Berlin nur wegen ihres Asylantrages gestattet worden, den sie nunmehr zurückgezogen hatte, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Auf die Flüchtlingsweisung könne sie sich jedoch erst dann berufen, wenn ihr Asylantrag endgültig abgelehnt sei. Wo immer die Beamten der Ausländerbehörde diese Interpretation herhaben, in der Weisung vom 20.Juni steht sie nicht drin. Dort wurde ausdrücklich formuliert, daß ein Flüchtling auf Antrag eine Aufenthaltserlaubnis erhalten kann, auch wenn ein Asylverfahren bereits eingeleitet worden ist, aber nicht weiterverfolgt werden soll.

Ähnlich schlechte Erfahrungen mußten Flüchtlinge aus dem Libanon machen, denen nahegelegt wurde, einen Asylantrag zu stellen - angesichts der immer rigideren Anerkennungspraxis ein unsinniges Unterfangen. Zudem ist der Libanon ausdrücklich als eines der fünf Herkunftsländer angeführt, dessen Flüchtlinge Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis haben.

Nachdem die Ausländerbehörde in den letzten Wochen an einige Flüchtlinge sogar Ausreiseaufforderungen verschickte, sah man sich auch beim Innensenator zu deutlicheren Signalen genötigt. Senator Pätzold habe die Behörde angewiesen, keine „präjudizierenden Schritte“ mehr zu unternehmen, erklärte Pressesprecher Werner Thronicker auf Anfrage. Mittwoch befaßt sich die Koalitionsrunde mit dem Thema. Bis spätestens Freitag will die AL-Abgeordnete Heidi Bischoff -Pflanz eine konkretisierte Fassung der Weisung auf den Schreibtischen der Ausländerbehörde wissen. „Diese Unsicherheit ist für die Betroffenen nicht mehr auszuhalten.“

anb