Die Welt muß mehr über Nigeria erfahren

■ Mit dem nigerianischen Musiker Fela Anikulapo-Kuti sprach Jane Bryce

Fela Anikulapo-Kuti ist bekannt für seine offenen Angriffe gegen die Korruption der Regierung und Polizeirepression. Er ist bereits zweimal im Gefängnis gewesen, das letzte Mal 1986 für fast ein Jahr. In einer Atmosphäre zunehmender Einschüchterung, von der auch die an sich mächtige Presse Nigerias nicht unberührt geblieben ist, ist Fela mehr und mehr zum Fokus für die Opposition des Landes geworden. Lieder wie „Beasts of No Nation“ mit dem Refrain „Animal can't dash me human rights“ haben ihn nicht beliebter gemacht beim Militärregime von Präsident Babangiba, das 1985 die Verletzung der Menschenrechte in Nigeria einmal als Rechtfertigung für seinen Putsch benutzt hat.

Babangibas Politik der „Strukturanpassung“ hat mit ihren Folgen - ökonomische Rezession und galoppierende Inflation selbst den nigerianischen Durchschnittsbürger an den Rand der Verzweiflung gebracht. Im Mai dieses Jahres explodierte die Stimmung in landesweiten Unruhen; kurz vorher war ein Konzert von Fela, das in seiner Heimatstadt Abeokuta vor 20.000 Studenten stattfinden sollte, von der Polizei gewaltsam verhindert worden. In London sprach Fela kürzlich mit Jane Bryce über die Hintergründe.

Die Menschen hungern furchtbar in Nigeria. Mein Land ist zu einer „settlement“ geworden, einem Flüchtlingslager. Jedermann in irgendeiner Art von Machtposition, wie etwa in der Armee oder der Polizei, benutzt das Wort „to settle“ für Bestechung. Sitzt du in der Patsche, mußt du erst mal die Dinge „regeln“, bevor sie dich laufenlassen. Als Babangiba nach England fuhr, um sich mit Margaret Thatcher zu treffen, sagt man in Nigeria, daß er fährt, um „was zu regeln“.

Fela fährt fort, daß die Verhältnisse für den einfachen Mann genauso schlecht sind wie in Südafrika. Nigeria habe seine eigene Form von Apartheid.

Wir haben ein Gesetz gegen das „Streunen“ (wandering). Ab fünf Uhr abends gehen Polizisten los und verhaften die Leute, selbst wenn sie Adresse und Arbeitsplatz vorweisen können. Die Polizeistellen sind zu Banken geworden, der höchste Diensthabende ist der Bankmanager. Sie sperren dich ein, wochen- und monatelang, gar für Jahre - ohne jede Anklageerhebung. Viele sterben im Gefängnis.

In diesem Zusammenhang waren Protestaktionen Fela zufolge völlig unvermeidlich; er selbst hatte sogar eine Pressekonferenz gegeben, um den Präsidenten zu warnen. Als der Aufstand kam, war er daher nicht etwa „spontan“.

Es war, als hätte man ein Streichholz an ausströmendes Gas gehalten. Die Menschen wollten ihren Widerstand gegen die akute Unterdrückung, die in Nigeria herrscht, fühlbar machen. Es fing an der Lagos State University an, noch ziemlich harmlos. Zur gleichen Zeit gab es die Proteste in China (auf dem Tiananmen-Platz), aber alles war noch ziemlich friedlich. Die nigerianische Regierung veröffentlichte eine Stellungnahme ungefähr in dem Sinne: Die nigerianischen Studenten sollten sich ein Beispiel an den Chinesen nehmen, das seien zivilisierte Leute, die machten gewaltlosen Widerstand. Jetzt ist natürlich alles hochgeflogen, aber damals war ich sauwütend. Ich hatte das Gefühl, daß immer, wenn in Afrika wirklich etwas passiert, diese Arschlöcher ankommen und uns irgendein Land vorhalten, von dem wir sowieso keine Ahnung haben. Wir wollen nicht wissen, was in China los ist. Wir wollen wissen, was in Afrika los ist.

Etwa einen Monat vor den ersten Unruhen, im April also, hatte die Regierung Informationen darüber erhalten, daß eine studentische Protestversammlung geplant sei. Felas Konzert war für den 8. April im Asero-Stadion von Abeokuta angesetzt. Vor dem Konzert jedoch brachen tausend vollbewaffnete Polizisten in der Stadt ein mit ihrer Operation „Bringt Fela zum Schweigen“.

Als wir mit meinem Bus die Vororte von Abeokuta erreichten, sahen wir die Polizisten aus Autos und gepanzerten Einsatzwagen langsam auf uns zukommen, 15 bis 20 in einer Reihe und mit eingeschalteten Sirenen. Ich sagte zu meiner Band: „Wir werden heute abend wohl doch nicht spielen.“ Die Polizei hatte das Stadion umstellt und drohte, jeden zu erschießen, der ihnen zu nahe kam. Ein Einfall der Regierung, um die Leute zu erschrecken. Es wäre mein erstes Konzert vor Studenten nach dem Knast gewesen. Viele Studenten waren von weither für diesen Auftritt gekommen. Die Behörden hatten das Gefühl, es würde totsicher zu Unruhen kommen, wenn sie mich vor 20.000 Studenten über die Wahlen und über Debt-to-equity-swap1 sprechen lassen würden

-darüber rede ich immer bei meinen Auftritten. Also haben sie das ganze Konzert verhindert.

Dieses Ereignis ist nicht isoliert zu sehen, sondern gehört in die generelle Repression, die unter anderem auch zum Verbot der Gewerkschaft akademischer Universitätsangestellter und der nationalen Studentenvereinigung geführt hat sowie zur Zerschlagung des Nigerian-Labour-Congress und der Verfolgung vieler Einzelpersonen: Am 17.Juni wurden der Sozialkritiker Tai Solarin und der alte Gewerkschaftsführer Michael Imoudu verhaftet und verhört, und der radikale Rechtsanwalt Gani Fawehinmi ist bis heute in Haft.

Ich kenne unsere Mentalität. Wir reden und lachen gerne. Aber ich weiß, daß wir in Wirklichkeit leiden. Die Studenten mögen zur anfänglichen Motivation wichtig gewesen sein, aber dann hat einfach jeder mitgemacht. Das war wirklich eine Volkserhebung. Das Thema war: Babangiba muß weg. Das halbe Land stand auf, es fing an in Ibadan und breitete sich aus nach Lagos, Aba, Enugu und Benin.

Offizielle Zahlen sind in Nigeria berüchtigt für ihre Unzuverlässigkeit, auch über die Zahl der Menschen, die bei der Niederschlagung der Unruhen durch die Polizei ums Leben kamen, hat es widersprüchliche Angaben gegeben.

Die Polizei behauptet, in Lagos seien zehn Menschen getötet worden, aber in den Zeitungen stand, daß allein in einem Leichenhaus schon fünfzig Tote lagen. Andere Berichte, die ich gehört haben, sprachen von 123 Toten in Lagos. Für Benin haben die Behörden die Zahl der Getöteten mit sieben angegeben, obwohl mir mehrere Leute sagten, es seien über hundert gewesen. Eine Freundin aus Benin erzählte, daß allein in ihrem Haus drei alten Frauen in die Beine geschossen wurde. Wenn in Lagos in zwei Tagen 123 starben und man bedenkt, daß die Unruhen in Benin vier Tage andauerten - überleg mal, wie viele da umgebracht worden sein können. Ich bin inzwischen davon überzeugt, daß die nigerianische Regierung nicht mehr das Recht hat, das südafrikanische Regime wegen der Verletzung der Rechte unserer Brüder und Schwestern in Südafrika zu verdammen. Zum Beispiel sind sowohl in Südafrika als auch in Nigeria fortschrittliche Organisationen verboten, gesetzestreue Bürger werden ohne Prozeß inhaftiert, die Polizei überfällt und tötet nächtens die Leute, zerstört ihre Wohnungen und vergewaltigt ihre Frauen - Patrioten werden als „Radikale“, „Terroristen“, „Anarchisten“ oder „politische Extremisten“ beschimpft, Gewerkschafter lebenslänglich eingesperrt...

In Nigeria wird zur Zeit die Rückkehr zur zivilen Regierung (1992) vorbereitet, Fela jedoch will sich an den Wahlen nicht beteiligen. Er sieht seine Aufgabe darin, die Verhältnisse in Nigeria anzuprangern.

Die Welt muß mehr über Nigeria erfahren. Die Leute wissen nicht, daß unsere Politiker mit afrikanischem Blut ihre Herrschaft aufrechterhalten. Es gibt in Nigeria nicht genug zu essen, keine Medikamente, und alles ist furchtbar überteuert. Margret Thatcher sagt, die nigerianische Wirtschaft ist intakt. Das sagte sie nicht nur in England, sondern auch in Nigeria. Ich habe mich mit ihr damals angelegt, denn sie hat kein Recht, unsere Ökonomie zu beurteilen, wenn sie nicht hier lebt. Man kann nicht nach Nigeria fahren und den Nigerianern erzählen, daß ihre Wirtschaft gesund ist. Sie hat kein politisches Mandat dazu. Aber Babangiba sagt, sie sei die klügste Politikerin der Welt. Kannst du dir vorstellen, wie dumm er ist?

Was wird Fela tun, wenn er in Nigeria zurück ist?

Sie würden mich gerne so sehr in Angst und Schrecken versetzen, daß ich nicht mehr zurückkomme, aber nichts könnte mich davon abhalten, in mein Land zurückzukehren. Ich muß nach Hause gehen. Das Gefängnis kenne ich jetzt, habe sozusagen schon für die Zukunft trainiert. Ich habe dort gelernt, mich zu langweilen. Das ist alles, was sie mir tun können. Von der Rückkehr können sie mich mit gar nichts abhalten.“

1 Debt-to-equity-swap bezeichnet die Umwandlung von Auslandsschulden in Beteiligungskapital (Aktien) an einheimischen Unternehmen im verschuldeten Land (Anm. d.Ü.)

Haupthandelspartner Nigerias sind die USA, Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland; Bundespräsident von Weizsäcker besuchte Nigeria im März 1988 und unterzeichnete ein bilaterales Umschuldungsabkommen über 2,4 Milliarden DM (Anm. U.R.)