Die Frage ist, wann es Verhandlungen gibt

In Südafrika werden sich wohl bald ANC und Regierung an einen Tisch setzen / Staatspräsident de Klerk hofft, damit eine Spaltung des ANC erreichen zu können / Er denkt weder an freie Wahlen noch an einen grundsätzlichen Neuanfang / Daß Nelson Mandela freikommt, scheint allerdings nicht mehr in weiter Ferne zu sein  ■  Aus Johannesburg Hans Brandt

Die Freilassung von Walter Sisulu und sieben weiteren prominenten politischen Gefangenen hat in Südafrika eine heftige Diskussion über die MÖglichkeit von Verhandlungen zwischen dem formell noch verbotenen Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) und der Regierung ins Rollen gebracht. Die Frage ist nicht mehr, ob es Verhandlungen gibt, sondern wann und wie. Das Taktieren im Vorfeld von Verhandlungen hat begonnen. Dabei wird die Freilassung von Nelson Mandela mit Spannung erwartet.

Die Freilassung von Sisulu hat de facto zu einer teilweisen Aufhebung des Verbots des ANC geführt. Sisulu, der triumphal als ANC-Sprecher auftritt, hat die Vorbedingungen des ANC für Verhandlungen wiederholt: Aufhebung des Ausnahmezustandes, des Verbots des ANC und anderer Organsationen, der Restriktionen von politischen Aktivisten, Freilassung von politischen Gefangenen sowie die Rückkehr von Apartheidgegnern aus dem Exil.

Die jüngsten Freilassungen sind Teilerfüllung einer dieser Forderungen. Die Regierung erwartet nun Konzessionen vom ANC. Präsident Frederick de Klerk rief den ANC diese Woche dazu auf, weniger Vorbedingungen zu stellen. „Wenn mögliche Teilnehmer an dem Verhandlungsprozeß darauf bestehen, schon vor Verhandlungen Siege zu verzeichnen, werden wir keinen Erfolg haben“, sagte er.

Der ANC soll der

Gewalt abschwören

Die Regierung hat bisher als Vorbedingung den Verzicht des ANC auf Gewalt als Mittel politischer Veränderung genannt. Diese Forderung wurde für Sisulu und seine Kollegen allerdings stillschweigend fallengelassen. Und Ende letzter Woche hat de Klerk sogar die Forderung an den ANC etwas abgeschwächt. „Das einzige, was von diesen Organisationen erwartet wird, um sich frei am politischen Prozeß zu beteiligen, ist eine Bekennung zu friedlichen Lösungen - und das schließt natürlich Gewalt aus“, sagte de Klerk. Gemeint ist offenbar eine Suspendierung, nicht eine vollkommen Aufgabe des bewaffneten Kampfes.

Hinter dieser Offerte steckt nach Ansicht regierungsnaher Beobachter die Hoffnung, daß der ANC gespalten werden kann. Es wird gehofft, daß der Teil des ANC, der zu friedlicher Veränderung bereit ist, legalisiert wird, während der militant kämpferische Teil in die Illegalität ausgegrenzt werden könnte. Das ist natürlich illusorisch. Eine Spaltung im ANC ist trotz Differenzen innerhalb der Organisation nicht abzusehen.

De Klerks Offerten sind geschmückt mit der schön klingenden Rhetorik, hinter der Apartheidführer schon seit Jahrzehnten ihre wirklichen Absichten verstecken. „Die Tür (zu Verhandlungen) ist offen und braucht nicht gestürmt zu werden“, sagte der Staatspräsident vor kurzem. „Das Recht zur Beteiligung von allen wird anerkannt. Vorherrschaft in allen Formen muß verschwinden, und soweit weiße Vorherrschaft besteht, muß sie abgeschafft werden. Diskriminierung muß ausgerottet werden.“

Das alles verschleiert jedoch die wahre Realität jener Vorbedingungen für Verhandlungen, die de Klerk nur fast nebenbei erwähnt. Der Präsident hat betont, daß es keinen grundsätzlichen Neuanfang, keine verfassungsgebende Versammlung wie in Namibia geben kann. Alle Veränderungen sollen von den bestehenden Institutionen abgesegnet werden, also von einem Parlament, in dem die Weißen das Veto haben. Und eine Demokratie im Sinne von „eine Person, eine Stimme“ bleibt strikt ausgeschlossen.

Schwarze sollen nur Schwarze wählen

Zudem plant die Regierung die Veranstaltung einer Wahl ausschließlich für Schwarze, um die Führer der Schwarzen „demokratisch zu bestimmen“. Damit soll dem ANC auch gezeigt werden, „daß er nicht der einzige Kiesel am Strand ist“, wie ein Regierungsvertreter es ausdrückte. All die Zugeständnisse der Regierung sind also lediglich ein Versuch, den ANC zu baldigen Verhandlungen zu bewegen, deren Rahmen de Klerk selbst bestimmen kann.

Unter diesen Umständen ist es unvorstellbar, daß der ANC sich zu Verhandlungen bereit erklärt. Erst wenn die Regierung zahlreiche zusätzliche Schritte zur Abschaffung der Repression unternimmt, sind Verhandlungen überhaupt vorstellbar. Weitere Regierungsinitiativen sind schon abzusehen, allen voran die Freilassung von Nelson Mandela. Ein Datum steht noch nicht fest, doch es ist klar, daß Sisulus Freilassung ein Test dafür ist.

Die Regierung hat selbstverständlich die Macht, Mandela jederzeit aus der Gefangenschaft zu entlassen. Aber als Symbolfigur der Opposition ist Mandela so wichtig, daß seine Freilassung weitreichende Folgen haben wird. Diese Folgen aber will die Regierung kontrollieren. Deshalb werden die Begleitumstände der Sisulu-Freilassung besonders genau beobachtet. Auch deswegen hat die Regierung wohl für diesen Sonntag eine Großversammlung zur Begrüßung von Sisulu und Kollegen in Johannesburg erlaubt.

„Mandela hat (mit Regierungsvertretern) Diskussionen geführt“, gibt Sisulu zu. „Aber auf keinen Fall kann man diese Diskussionen Verhandlungen nennen. Ein Gefangener kann nicht über seine Freilassung verhandeln.“ Verschiedene Minister versuchen seit mehr als einem Jahr, Mandela Abmachungen über sein Auftreten als freier Mann abzuringen. Die plumpeste Form war das Angebot vor wenigen Jahren, daß Mandela freigelassen würde, wenn er Gewalt als Mittel politischer Veränderung verurteilt. Das hat Mandela rundweg abgelehnt.

Mandelas jetzt

in einer Villa inhaftiert

Inzwischen ist die Regierung bemüht, ihren guten Willen im Falle Mandela zu beweisen. Er lebt nun in einer Villa mit eigenem Swimmingpool auf dem Grundstück des Victor-Verster -Gefängnisses bei Paarl, 50 Kilometer nördlich von Kapstadt. Er darf fast beliebige Besucher empfangen. Das ist natürlich auch ein passender Ort für diskrete Kontakte zwischen Mandela und Regierungsvertretetern.

Statt der Forderung, daß er Gewalt ablehnt, soll Mandela sich nun auch zu „friedlicher Veränderung“ bekennen. Das hat er getan. Doch nach seinem überraschenden Treffen mit dem damaligen Präsidenten Pieter W.Botha im Juli bestätigte er in einer Erklärung, daß er seine Ansichten seit seiner Inhaftierung nicht geändert habe. Mandela unterstützt also nach wie vor den bewaffneten Kampf gegen die Apartheid.

„Der ANC war immer an einer friedlichen Lösung interessiert“, erklärt Sisulu die oberflächliche Diskrepanz zwischen bewaffnetem Kampf und Bereitschaft zu friedlicher Veränderung. „Es war die Regierung, die Gewalt eingeführt hat, indem sie sich dickköpfig geweigert hat, unsere Forderungen nach Gleichberechtigung anzuhören.“

Mandela sagt jedoch, daß „seine Freilassung zur Zeit kein Thema ist“, wie de Klerk es vor kurzem formulierte. Mandela will offenbar nur dann frei sein, wenn das Verbot des ANC aufgehoben ist und er als ANC-Führer auftreten kann. Der ANC, unterstützt durch internationalen Druck, handelt indessen zur Zeit aus einer Position der Stärke. Er kann zu Recht hoffen, daß zusätzlicher Druck weitere Zugeständnisse der Regierung erzwingen wird.

Wir haben keine Illusionen. Diese Leute bewegen sich nur unter Druck“, sagt Ahmed Kathrada, der zusammen mit Sisulu freigelassen wurde. „Wenn man sich die vergangenen Jahre ansieht, dann gibt es einfach nichts, das das Regime getan hat ohne Druck. Deshalb müssen wir alle Formen des Drucks fortführen, um das Regime an den Verhandlungstisch zu zwingen.“