Kopfschutz, Schlagkraft und Askese

■ Deutsche Box-Meisterschaften mit türkischer, marokkanischer, ugandischer und ägyptischer Beteiligung / Zwei Titel gab es für Berliner Boxer / Erstmals Doping-Kontrolle durchgeführt: alle sauber / Kopfschutz für die Kämpfer wird erst ab nächstes Jahr Pflicht

„Aktion 100“ gescheitert. Anläßlich der Deutschen Meisterschaft in der Stadt wollte der Berliner Boxverband das glatte Hundert der gewonnenen Titel vollmachen. Doch es wurden nur der 97. und 98. Erfolg im nationalen Schlagabtausch.

Zunächst einmal wurde Sven Ottke (Spandauer BC) seiner Favoritenrolle gerecht. Der Mittelgewichtschamp, am Ende einer langen und erfolgreichen Saison etwas lustlos und unmotiviert, beherrscht seine Klasse nach Belieben. Jeweils in der ersten Runde ließ er seinen Gegnern die Hoffnung, vielleicht die Sensation zu schaffen - um dann jedoch in den Schlußrunden die gewohnte Hackordnung wiederherzustellen.

Für den zweiten Titel sorgte Ibrahim Vural (Hertha BSC). Der Türke mit dem Berliner Personalausweis ist schlagstark, kombinationsreich und setzt im richtigen Moment nach. Außerdem ist er physisch so gut in Form, daß er drei Runden lang angreifen kann. Sein Finalgegner Peter Gailer (1. FC Nürnberg), immerhin der Bantammeister (bis 54 Kilo) von 1986, war dem nicht gewachsen. Vural besitzt das Potential, um auch international Karriere zu machen. Der Höhepunkt der Meisterschaften ereignete sich schon im Halbfinale der Leichtgewichtsklasse. Adnan Öczoban (Viktoria Berlin), der Fighter, versucht seinen Gegner vor sich herzutreiben, um dann, leicht geduckt, aus seiner Doppeldeckung Körperhaken anzubringen. Dagegen Richard Nowakowski (SC Frankfurt), der Stilist. Links ein Schritt, rechts ein Schritt, pendelt er die Angriffe gelassen aus, um dann mit langen Armen zu treffen. Im Finale konnte er sich gegen Jörg Kästner durchsetzen. Nowakowski (34), der bereits 1977 und 1979 Europameister für die DDR geworden war, hat auch noch Kondition für drei Runden. Das Geheimnis seiner Fitness hat er dem Sportinformationsdienst verraten: klösterliche Enthaltsamkeit.

Wenn Michael Gusnick von Astoria Berlin Alpträume hat, dann wegen Alexander Künzler (Karlsruher SC). Im Duell der besten Halbmittelgewichtler blieb Gusnick wieder zweiter Sieger. Doch im Finale konnte sich der Serienmeister steigern und den keinesfalls schlechten Gusnick auspunkten. Das lokalpatriotisch eingestellte Publikum in der Sömmeringhalle sah es zunächst anders. Nachdem der Dampf abgelassen war, applaudierte es beiden Boxern, die einen der besten Kämpfe am Schlußtag gezeigt hatten.

Werner Wude (Nordstern Berlin) konnte der Favoritenrolle nicht gerecht werden. Der Gabelstaplerfahrer mit dem kunstvoll geflochtenen Zopf mußte im Halbfinale dem 18jährigen Harald Joos (Speyer) den Vortritt überlassen.

Die Verletzungen bei den Kämpfen hielten sich in Grenzen, da immer mehr Faustfechter den Kopfschutz benutzen. Erst nächstes Jahr wird er endlich bei den Meisterschaften obligatorisch sein. Auch das Doping-Problem spielt bei den Boxern bisher keine Rolle. Jedenfalls hatten die erstmals durchgeführten Stichproben durchweg negative Ergebnisse.

Klaus-Hermann Rapp