: Eine Insel im braunen Meer
■ Der Grunewald-Sportplatz - Berliner Zentrum des jüdischen Sports / Im Oktober 1936 fand hier das letzte jüdische Sportfest statt / Nach dem Ausschluß aus „arischen“ Sportvereinen wurden Dachböden, Synagogen und Bauplätze in Übungsräume umgewandelt
Der Grunewald-Sportplatz im Jagen 57/58 ist nicht leicht zu finden und nach heutigen Maßstäben ein Acker. Vom früheren Glanz ist wenig zu sehen. Wo sich von 1933 bis 1938 inmitten der Villenkolonie Grunewald das Zentrum des jüdischen Sports herausbildete, hat sich nun ein FKK-Club breitgemacht. Nur ein Teil der 1930/31 von der Jüdischen Gemeinde errichteten Stadionanlage wird heute noch als städtischer Sportplatz genutzt.
In seiner Entstehungsphase war die Sportstätte eher ein Anachronismus. Weil der Sport für viele Juden in den zwanziger Jahren ein Medium der gesellschaftlichen Integration war, betätigten sich die meisten in neutralen, paritätischen Turn- und Sportvereinen. Erst die nationalsozialistische „Machtergreifung“ brachte eine dramatische Wende.
Obgleich es keinen „Führerbefehl“ zum Ausschluß jüdischer SportlerInnen gab, preschten einzelne Verbände vor. Bis Dezember 1933 waren alle Juden aus den deutschen Vereinen in Berlin ausgeschlossen. Sie schlossen sich in der Folgezeit entweder dem zionistischen Weltverband Makkabi an, dem auch der überaus erfolgreiche Berliner Verein Bar Kochba angehörte. Oder aber man wechselte zum Sportbund Schild, dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, der sich dem „deutsch-vaterländischen Denken“ verpflichtet fühlte. Dergestalt vom „deutschen“ Sportgeschehen und seinen Spielstätten ausgeschlossen, griffen viele Juden zur Selbsthilfe. Man wandelte Dachböden, Synagogen, Bauplätze oder Äcker zu Übungsräumen um.
Die Berliner Juden besaßen den Vorteil, daß sie mit dem Platz im Grunewald bereits über ein Gelände verfügten und es nun zu einer ansehnlichen Arena mit sechs Spielfeldern ausbauten. Der Grunewald-Sportplatz galt bald als Mittelpunkt des jüdischen Sportgeschehens. Hier spielten die AthletInnen Fußball, Handball, Hockey, Völkerball, und selbst Boxkämpfe unter freiem Himmel gingen vor zahlreichen Zuschauern über die Bühne. 1934 fanden sich 8.000 Zuschauer im Grunewald ein, um das „Makkabi-Sportfest“ mitzuerleben; weitere nationale und internationale Veranstaltungen lockten zigtausende Zuschauer an. Es schien gerade so, als sei Sport ein probates Mittel unter Juden gewesen, um ihren schlimmsten Ahnungen zu entkommen. „Sport macht unsere Jugend fröhlich“, lautete ein Begriff aus dieser rechtlosen Ära.
Kam es bis 1935 noch zu gelegentlichen Wettkämpfen zwischen jüdischen und „arischen“ Vereinen, so hatte dies mit dem 15.Mai 1935 ein Ende. An diesem Tag trafen sich auf dem Grunewald-Sportplatz die Frauenmannschaften des Jüdischen Turn- und Sportklubs von 1905 und des „arischen“ Polizei -Sportvereins zu einem Handballspiel. Zum Entsetzen der Nazi -Oberen setzte der Polizeisportverein zwei jüdische Spielerinnen ein, und die gleichgeschaltete Presse fragte: „Wie ist das möglich?“ Danach traten keine Juden mehr gegen „Arier“ an, obwohl es kein öffentliches Verbot gab.
Nach der Berliner Olympiade von 1936 mußten die Nazis keine Rücksicht mehr auf das verunsicherte Ausland nehmen. Die Repressalien gegen das Judentum wuchsen. Im Oktober 1936 trafen sich auf dem Grunewald-Sportplatz noch einmal 6.000 Jugendliche zu einem jüdischen Schulsportfest. Nach der „Reichskristallnacht“ vom 9./10.November 1938 wurden sämtliche jüdische Sportvereine verboten.
Jürgen Schulz
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