Macht „Liebeskummer“ wirklich drogensüchtig?

■ Suchtprävention in Kreuzberger Oberschulklassen: KontaktlehrerInnen bauen Vertrauensverhältnis auf / Die taz wollte dabei nicht stören und sah sich ein Videoprotokoll einer Unterrichtsstunde zum Thema Drogen im Kiez an

„Ist die Wasserpfeife legal?“ will der türkische Junge in der hintersten Reihe wissen und blickt gespannt auf die verneinende Sozialarbeiterin. Die hat es sich an diesem Tag zur Aufgabe gemacht, mit der siebten Klasse einer Kreuzberger Oberschule über Drogen zu sprechen. „Was passiert denn, wenn man Haschisch raucht“, will sie von der Klasse wissen. Der 14jährige Junge weiß Bescheid: „Na, man wird fett und kriegt ganz kleine Augen!“ Stolz erzählt er auch gleich noch, wie man es macht: Ein bißchen Tabak ins Zigarettenpapier, Haschisch erhitzen und unter den Tabak bröseln. „Das sieht dann aus wie eine ganz normale Zigarette!“ „Aber es riecht doch so komisch süßlich“, wendet eine Mitschülerin ein. „Und es macht süchtig!“ Die Sozialarbeiterin erläutert den Jugendlichen das seelische Verlangen nach Haschisch, spricht von Wahnvorstellungen, die diese Droge auslöst (z.B. die, daß sie süchtig macht! d. säzzer) - deshalb dürfe man Haschisch auch nicht legalisieren, meint sie jedenfalls - und leitet zur nächsten Droge über: Heroin. Der 13jährige Klaus hat die Erfahrung gemacht, daß die Dealer „ganz normal aussehen“, aber meist könne er sie „an den schlimmen Augenrändern“ erkennen, wenn sie selber schon „drauf sind“. Die Kreuzberger Jugendlichen wissen Bescheid, sie kennen die Bilder rund ums „Kotti“ und haben genau beobachtet: „Die Heroinabhängigen sind ganz verkommen und zittrig, manchmal auch richtig aggressiv!“ „Und die machen alles, nur um Geld für die Droge zu kriegen, dafür werden die sogar schwul!“ Da geht es dann schon mal durcheinander, und die Sozialarbeiterin hat Mühe, den Unterschied zwischen Beschaffungskriminalität und „schwuler Liebe“ zu erklären. „Aids“ brüllen alle im Chor, als sie fragt, welche Gefahr die Mehrfachbenutzung von Spritzen birgt. Doch schnell erlahmt das Interesse an Heroin, lieber wollen die Kids was über Haschisch wissen. „Haben Sie auch schon Drogen genommen?“ will ein türkischer Junge zum wiederholten Mal von der Sozialarbeiterin erfahren. Als Jugendliche dreimal, gibt sie zu, danach hatte sie „die Schnauze voll“. Drogen mal ausprobieren sei auch nicht gefährlich, erfahren die Kids, schlimm würde es, wenn jemand damit seine Probleme zudecken wolle. Was das denn für Probleme sein könnten? „Liebeskumemr“, tönt es aus der letzten Reihe, „Probleme mit Eltern“, „Schuldgefühle“, ein gewitzter Schüler schlenkert wild seinen rechten Arm: „Ohne Arbeit keine Wohnung, ohne Wohnung keine Arbeit, da kommt man dann auf Drogen!“ ruft er in die Klasse.

Diese Form des Unterrichts ist Teil eines seit Januar 1988 laufenden Suchtpräventionsprojekts an Kreuzberger Oberschulen. 60 KontaktlehrerInnen an den insgesamt 18 Schulen werden jeweils für mehrere Stunden pro Woche für diese Arbeit freigestellt. Im Bezirksamt organisieren ein Psychologe, eine Sozialarbeiterin und zwei Lehrer mit jeweils einer halben Stelle regelmäßige Treffen der KontaktlehrerInnen, Supervision und Fortbildung. Die KontaktlehrerInnen wollen keine unbedingte Drogenfreiheit oder Askese predigen, den plakativen Frontalunterricht einschließlich langweiliger Belehrungen lehnen sie ebenfalls ab. Statt dessen suchen sie den Kontakt mit den Kids, organisieren Theatergruppen, bieten Gesprächsrunden an oder erkunden mit den Jugendlichen die Freizeitangebote der Umgebung - um mit der Zeit soviel Vertrauen aufzubauen, daß die Kids von selbst von ihren Nöten und möglichen Drogenproblemen erzählen. Bis sie soweit sind, dauert es oft mehrere Monate - zu tief sitzt die Erfahrung, daß auf ihre Erzählungen mit disziplinarischen Maßnahmen reagiert wird. Auch große Teile des LehrerInnenkollegiums sind mißtrauisch und betrachten die Verfügungsstunden als Spielwiese für flippige Lehrer, die selbst gerne kiffen. Repräsentative Studien, die meßbare Präventionserfolge zeigen, kann das bis 1990 befristete Projekt nach knapp zwei Jahren noch nicht vorweisen, dazu war die Zeit zu kurz und sie wird es möglicherweise auch bleiben: Durch das Versprechen der Schulverwaltung, noch in dieser Legislaturperiode 2.000 neue LehrerInnenstellen zu schaffen, befürchtet das Bezirksamt „Suchtprävention“, daß genau sie einschließlich der KontaktlehrerInnen dabei unter den Tisch fallen.

Martina Habersetzer