„Ich werde ausgestrahlt also bin ich“

■ Die 22.Mainzer Tage der Fernseh-Kritik sind letzte Woche zu Ende gegangen

Alle Jahre wieder trifft sich unter dem schützenden Dach des ZDF auf dem Mainzer Lerchenberg die Elite der Programm -Macher und Kritiker. „Toleranz - Tabu - Totalität. Die gereizte Gesellschaft“ war als Tagungsthema vorgegeben recht treffend, wie sich herausstellen sollte, denn an Tabus wurde kaum gerührt, und die Toleranz des Beobachters wurde durch die Totalität der verdrängung kritischer Themenbereiche ausgiebig geprüft.

Während Günter Kunert wortgewandt versuchte, einen Sinn in den ganzen Programmen auszumachen, um schließlich das Fazit zu ziehen, „Ich werde ausgestrahlt, also bin ich“, übte sich Horst Eberhard Richter im Ausloten der Toleranz(un)fähigkeit der Gesellschaft. Selbstreflexion sei nicht mehr gefragt, Egozentrik herrsche allerorten. Schließlich drangen Cornelia Bolesch und Dietrich Schwarzkopf zwar nicht zum Nerv der Gesellschaft vor, aber den der öffentlich-rechtlichen Programme streifte man immerhin. Während Schwarzkopf gerne den dialogischen Charakter des Mediums betont wissen wollte, konstatierte Cornelia Bolesch zu Recht, daß das Fernsehen heute nicht mehr so elitär, sondern näher an der Gesellschaft sei als noch vor zehn Jahren, nur leider sei das Niveau gesunken. Für das Gesamtprogramm trifft das wohl zu, für die Einzelstücke weniger. Die anschließende Diskussion zeigte bereits viel von dem, was in den nächsten Tagen noch folgen sollte: Ratlosigkeit, eitle Selbstschau und mangelnde Fähigkeit zu Kritik und Selbstkritik.

Das gilt insbesondere auch für die Diskussion um den sogenannten investigativen und enthüllenden Journalismus. Es kann doch wohl nicht angehen, wenn gestandene Porgramm -Macher und Kritiker den Blick in das Schlafzimmer eines Politikers für investigativen Journalismus erklären. Das hat schließlich eher etwas mit Klatschjournalismus und Regenbogenpresse zu tun denn mit Aufklärung im Sinne von kritischer Öffentlichkeit als kontrollierender vierter Gewalt im Staate. Die Diskussion in Mainz ist zugleich Beleg für den Zustand der politischen Kultur in dieser Kohl -Republik, in der konstruktiver Streit nicht mehr stattfindet, der öffentliche Diskurs ebenso wie die Politik auf Stammtisch- und Kaffeekränzchenniveau gesunken ist. Selbst ZDF-Intendant Stolte wußte, was er von all dem zu halten hatte, und blieb dem Geplapper fern, nur am letzten Tag tat er seiner Gastgeberpflicht genüge und griff mit einem ebenso kurzen wie belanglosen Statement in die Diskussion ein.

Merkwürdig schon, daß außer einem dumm daherschwätzenden Stefan Aust vom Spiegel-TV kein Leiter eines politischen Magazins auf das Podium geladen war. Selbst die Leitfigur der Magazinjournalisten, Klaus Bednarz von Monitor, war erst gar nicht geladen worden. So wurde denn auch die beabsichtigte Verlegung der Magazine in der ARD nur am Rande erwähnt und schon gar nicht diskutiert. Die Tatsache, daß kaum noch ein Magazinbeitrag ohne die vorherige Absprache mit den Hausjuristen gesendet wird, fand keinerlei Erwähnung; und in der Diskussion verwechselte man Journalismus allzuoft mit Öffentlichkeitsarbeit.

Die Mainzer Tage belegten vor allem eines: Die Niveaulosigkeit vieler Programme ist die Niveaulosigkeit ihrer Macher und auch ihrer Kritiker. Die müden, weil einsamen Vertedigungsversuche von Ernst Elitz, der einen aggressiven, investigativen Journalismus forderte, weil er auch Einschaltquoten bringe, verpuffte hinter den Spiegeln der narzistischen Vedrängungskünstler.

Lothar Mikos