Der Trickdieb und sein Schmieresteher

■ Anmerkung zum Kommentar des 'Zeit'-Feuilletonchefs zur Tiedemann-Suhrkamp-Kontroverse

Daß die Anschuldigungen Rolf Tiedemanns gegen den Chef des Suhrkamp-Verlages Unseld in Sachen Benjamin die verschiedenen bundesrepublikanischen Feuilletons auf die eine oder andere Weise ins Schleudern bringen würden, war unschwer vorherzusehen. Wer legt sich schon gerne mit einem der einflußreichsten Buchverleger der Bundesrepublik an? Schließlich lebt man ja auch - indirekt - von und mit seiner Produktion. Angesichts der Schwere der Anschuldigungen und ihrer detaillierten Form konnte es, das war von vornherein klar, ohnehin niemand wagen, blankweg alles abzustreiten, selbst Herr Unseld nicht.

Abgezählt, daß R. Tiedemann - selbst jahrelang Kettenhund des Hauses Suhrkamp in Sachen Benjamin, der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an den Streit mit der Zeitschrift 'Alternative‘ gegen Ende der sechziger Jahre nicht gerade ein Ausbund an Sympathie und Aufrichtigkeit ist. Worauf denn auch ausgiebig herumgeritten wurde. Abgezählt auch, daß alle Herrn Tiedemann als Herausgeber selbstverständlich loben werden, schließlich will niemand dem Verkauf der Gesamtausgabe schaden. Allerdings, daß die Italiener sich der Mühe unterziehen, eine andere Gesamtausgabe herauszubringen (unter Leitung von Giorgio Agamben), möchte einen stutzen lassen.

Eine interessante Variante des ganzen casus liefert uns in der 'Zeit‘ Nr. 43 vom 20. Oktober der Feuilletonchef derselben, Ulrich Greiner. Da soll doch niemand sagen, die 'Zeit‘ habe nicht den Mut zu einem unabhängigen Urteil und gehe immer mit den stärksten Truppen. Fast macht der Nonkonformismus des Herrn Greiner einen schwindeln. Erst mal, so sagt er, sind die Verleger doch alle so, versteckt sich aber wohlweislich hinter der 'Süddeutschen Zeitung‘, die ihren Kommentar zu der Affäre in die witzige Pointe gekleidet habe, wirklich sensationell wäre es, wenn ein Verleger seine Autoren nicht pausenlos übers Ohr haue. Und zweitens sei das ja auch fast schon eine läßliche Sünde, denn, so wird ein namentlich nicht genannter, aber „nicht unbekannter Verleger“ zitiert, „das Büchermachen sei ökonomisch ein solcher Anachronismus, daß er, wenn er alle Beteiligten fair und gerecht bezahlen wolle, sofort zumachen müsse“.

Schrecklich die Vorstellung: Den Buchseiten der Feuilletons ginge ihr Rohstoff aus. Da muß die Moral einfach hintanstehen. Antiquiert im Vergleich zu solch postmoderner Ethik natürlich ein Mäzen wie J.P. Reemtsma, der offensichtlich glaubt er noch an Fortschritt und Moral - es liebe, sich als „Rächer der Gerechten“ aufzuspielen - und bei dem R. Tiedemann als Leiter des von ihm gesponserten Adorno-Archivs praktisch in Diensten stünde. So lautet denn auch folgerichtig das Verdikt des Herrn Greiner: „Unseld ist ein guter Verleger, der geizig ist, der den Profit in das nächste Projekt, also in Bücher steckt und nicht in die eigene Tasche. Was er für die Verbreitung von Walter Benjamin getan hat, hätte kaum ein anderer geschafft. Ob er dabei getrickst hat, das wird das Gericht entscheiden. Aber das moralische Bläserduo, das, gesponsert von Reemtsma, rezensiert vom 'Spiegel‘ sein Ständchen gab, hat ein bißchen schräg gespielt.“

Ja, aber - man stockt, nicht nur weil einen Zweifel beschleichen, ob denn der Verleger Unseld wirklich nur an seine Bücher und nicht auch an lohnendere Kapitalanlagen denkt - ja, wenn die Verleger sowieso immerzu, angefangen bei den Autoren, alle anderen, die bei der Produktion von Büchern eine Rolle spielen, betrügen, dann heißt doch, den Profit in neue Bücher zu stecken, schlicht nichts anderes als: den nächsten Betrug vorzubereiten. So ergibt sich eine interessante Kette: Die Profite aus dem in Insiderkreisen ja auch nicht unbekannten Knebelvertrag mit Ernst Bloch wurden in den Betrug der Benjamin-Erben gesteckt. Bleibt die Frage: Wer ist das nächste Opfer?

Natürlich, Unseld ist ein erfolgreicher Verleger, und alle sind neidisch. Frau Kressmann-Zschach, die in Berlin den famosen Steglitzer Kreisel baute, war auch erfolgreich, und alle waren neidisch. Hätte man sie deswegen zur Bundesbauministerin machen sollen?

Ulrich Hausmann