Luxation durch Feuerwehrattacke

Ob wir, wird in einem Leserbrief (siehe taz v. 26.10.) gefragt, nun völlig durchgeknallt wären? Die gleiche Scheiße zu machen wie Boulevard und so. Den Leuten was vorzugaukeln: Sie könnten der Arbeitslosigkeit so mir nichts, dir nichts entfleuchen - in den fruchtbaren Schoß des Journalismus! TAZ weist den Vorwurf zurück. Wir bieten hier keine Jobs wie 'Bild‘. Dieser Kurs ist - jeden Montag - nichts als Hilfe zur Selbsthilfe. Also: weitersammeln! SERIE TEIL IV: Von Herrn Thömmes  ■  Flüchtlinge und Medizin

Preußenmetropole (taz) - Nun hat diese Kolumne - von einem Brain-Kombinat monatelang vorbereitet - unversehens und ohne eigenen Wunsch durch die weltpolitischen Ereignisse eine neue Dimension erhalten (keine Angst, hier wird nicht vom DIALOG die Rede sein!). Ursprünglich geplant, jungen, unerfahrenen Reportern die Angst vorm ersten Federstrich zu nehmen, ist sie plötzlich auch zu einem Fortbildungskurs für durchaus ältere Kollegen mit Berufspraxis geworden: den politischen Flüchtlingen aus der DDR.

Deren Eingliederung in unsere Arbeitswelt, die Resozialisierung der Nichtrealsozialisten in den Kapitalismus, dürfte so einfach nicht sein, zumal traditionell eher links/radikal/liberal/sozialistisch angesiedelte Publikationen wie 'Konkret‘, 'Arbeiterkampf‘, taz, 'Titanic‘ oder 'ProKla‘ entweder über keine oder nur kleine Sportredaktionen verfügen; und bei der kommunistischen Parteizeitung 'UZ‘ wurde aus dem Ressort Sport bislang erst ein einziger Neuerer entlassen.

Das Hauptproblem jedoch liegt anders: Sportsprache - das ist Grundlage dieses Kursus - ist weitgehend standardisiert. Und die vierzigjährige Existenz zweier deutscher Staaten hat trotz einer gemeinsamen Basis verschiedenes Vokabular hervorgebracht: Die DDR-Kollegem würden ohne Schulung an den Bedürfnissen der westlichen Konsumenten vorbeischreiben.

Einige Beispiele: Was hier der schnelle Konter ist, wird drüben zum „zügigen Umkehrspiel„; „Querablage“ bedeutet kurzer Querpaß in den Lauf; die Blutgrätsche der Bundesliga heißt in der DDR-Oberliga „Feuerwehrattacke„; und das gelungene Dribbling von Pierre Littbarski wird bei Andreas Thom (Dynamo Berlin) zum „Soloritt“ (möglich allerdings auch, daß so für einen sprachinnovativen Schub im Westen gesorgt wird).

Zudem klingen die Sprachstandards von drüben für hiesige Ohren seltsam gestelzt, wie verirrtes Bonndeutsch des Kanzlersprechers, mit einem eigenen Bürokratenduktus (Und Interviewfragen wie: Ist Ihnen Frieden ein Anliegen? würden bei uns nur Befremden auslösen). Fachleute meinen deshalb, DDR-Journalisten wären nach ihrem Wechsel bestenfalls zum Entwerfen von Formularen tauglich: bei Finanzämtern.

Das muß nicht so bleiben, weshalb hier wenigstens noch ein medizinischer Grundkurs absolviert werden soll. Immer wieder sieht sich der Reporter nicht nur vor der Situation, schnell schreiben zu müssen, sondern auch von der Pressetribüne aus Blitzdiagnosen zu stellen: 75. Minute, Bein humpelt vom Platz. Was den Lesern mitteilen? Auch hier zeigt sich, welchen raschen Veränderungen die Sportsprache unterliegt.

Bei Einführung der Bundesliga noch hätten wir Bein eine Prellung an die Wade geschrieben, im 15. Ligajahr wäre von einer Zerrung die Rede gewesen, wenig später vom Muskelfaserriß oder Muskelfaseranriß. Heute haben es Sportler vornehmlich an den Adduktoren, allzu gern auch leidet die Patellasehne (Reizung!!).

Und wenn nichts mehr hilft, greifen mit einer kleinen Verrenkung zur Luxation. Konter Umkehrspiel Querpaß Querablage Blutgrätsche Feuerwehrattacke Dribbling Soloritt Prellung out Zerrung out Muskelfaserriß out Adduktoren in Patellasehne in Luxation Notleiden