Free Jazz: Mehr ist nicht drin !

■ Peter Brötzmann und Han Bennink ließen in den Weserterrassen die Wände wackeln

Ins Auge des Hurrikans waren die 70-80 BesucherInnen der Weserterrassen geraten, als Peter Brötzmann (Saxophone) und Han Bennink (Perkussion), zwei der größten Freejazzer, am Sonntagabend bei DACAPO einen musikalischen Sturm entfachten. Urplötzlich setzte ein rasendes Schlagzeuggewitter ein, in dem eine expressiv-nöhlende Klarinette sich in den donnernden Rhythmen wand. Seit Jahren wird er totgesagt, der Freejazz, am Sonntag traten Brötzmann und Bennink den Beweis seiner vitalen Lebendigkeit an. Im Gegensatz zum wirklichen Sturm, reißen sie nicht nur Mauern und Schranken nieder, sondern bauen gleichzeitig einen Raum der Ausdrucksfreiheit auf.

Wie zwei Derwische rasen sie auf/mit ihren Instrumenten. Bennink trommelte auf Allem, was ihm unter die Sticks kam: Fußboden, Kletterstangen für Pflanzen, Stühle, Tische, Flaschen. Er haut auch schon mal die Füße auf die Toms, moduliert durch entsprechenden Druck aufs Fell den Klang und trommelt dann auf sei

nen Schuhen rum. Mit seinem Hang zu clownesk-klamaukigen Einlagen begeisterte er das Publikum immer wieder.

Allerdings stand er dadurch auch entschieden im Mittelpunkt des Interesses und drängte Brötzmann und das musikalische Geschehen manchmal ein wenig ins Abseits. Es ist gigantisch, was Bennink am Schlagzeug zustande bringt. Es gibt nur wenige Drummer, die gleichzeitig so kraftvoll-urgewaltig draufhauen (da zerfetzt es schon mal den einen oder anderen Stick), rasend schnell wirbeln und differenziert melodiös trommeln können. Bennink beherrscht die ganze Palette „konventionellen“ Jazztrommelns, weshalb er auch als Drummer außerhalb des Freejazz sehr gefragt ist.

So schält sich aus einem kathartischen Feuerwerk ein Marschrhythmus heraus oder swingende Bop-Phrasen. Dazu blies Brötzmann seine exzessiven Stakkato-Läufe auf Tenor-oder Altsax, überblasene Fortissimi, grummelte auf der Baß-oder fiepte auf der Piccolo-Klarinette.

Er quietschte, kreischte, trötete, röchelte, trillerte auf den verschiedenen Reeds. Nach einer atemberaubenden Dreiviertelstunde endete der erste Set.

Der zweite begann, was Expressivität betrifft, etwas gelassener, steigerte sich dann erneut in explodierende Klimax‘. Zwischendrin gabs auch verhaltene Passagen zum Atemholen. Bennink saß auf dem Boden und trommelte manisch eine afrikanisch anmutende Rhythmusfigur auf zwei Keulen, die über seinen Beinen lagen, während Brötzmann ins Sax stotterte.

Dann erzählte Bennink das hintersinnige Märchen vom sprechenden Frosch: Zwei alte Damen gingen spazieren und hörten plötzlich leise Hilferufe. Als sie sich umsahen, entdeckten sie einen Frosch, der behauptete, ein verwunschener Musiker zu sein. Er bat die Damen, ihn aufs Maul zu küssen, damit er sich zurückverwandeln und wieder Musik machen könne wie Peter Brötzmann und gutes Geld zu verdienen. Daraufhin nahm ihn eine der alten Damen auf und steckte ihn in

die Tasche. Als die andere fragte, warum sie den Frosch denn nicht geküßt habe, damit er als Musiker soviel Geld verdienen könne wie Peter Brötzmann, antwortete die erste, daß sie mit einem sprechenden Frosch doch viel mehr Geld verdienen können, als Brötzmann mit seiner Musik. Wohl wahr.

Nach einer erneuten Dreiviertelstunde endete der zweite Set mit einem schräg jaulenden Duett von Sopransax (Bennink) und Piccolo-Klarinette (Brötzmann). Gegeneinander anblasend schraubten sich beide ins höchste Diskant und fielen endlich in einem sich reibenden Unisono ab. Begeisterter Applaus führte zu einer kurzen Zugabe, in der Bennink eines seiner Becken mit einem Bananenkaron malträtierte und Brötzmann noch einmal zu einem Höhenflug auf dem Tenorsax ausholte. Nichtendenwollender, begeisterter Beifall, den Brötzmann mit der Bemerkung beendete: „Mehr ist nicht drin.“ Wir glaubten es ihm.

Arnaud

PS: Im übrigen bin ich der Meinung, daß jede Freundin guter Musik unbedingt die DACAPO-CD kaufen muß.