Bunker statt Läusepension?

■ Obdachlose und Sozialarbeiter gehen auf die Straßen / Sie fordern Gleichbehandlung für alle

Es gießt in Strömen, als die Obdachlosen und SozialarbeiterInnen am Hermannplatz Flugblätter und Plastikbecher für den Kaffee auspacken. Für drei Tage haben die MitarbeiterInnen von Beratungsstellen für Obdachlose ihre Einrichtungen geschlossen und ihre „Wärmestuben- und Beratungsarbeit“ auf die Straße verlegt, „weil wir unseren Arbeitsauftrag nicht mehr erfüllen können“. Ein bißchen Kaffee ausschenken, einen Platz zum Aufwärmen anbieten und ab und an einen Platz in der Läusepension vermitteln - das sei für die Katz, sagt Wolfgang von der Beratungsstelle in der Levetzowstraße. In ihrer Presseerklärung fordern die MitarbeiterInnen von sechs Berliner Einrichtungen für Obdachlose politische Schritte - wie die sofortige Wiedereinführung der Mietpreisbindung. „Wir nennen uns jetzt Illusionsarbeiter, weil wir die Leute nur noch vertrösten können.“

Den Namensvetter aus Duisburg zum Beispiel. Wolfgang ist vor zwölf Jahren nach Berlin gekommen und seit Mai obdachlos. „Zum ersten Mal in meinem Leben.“ Er war aus der Wohnung geflogen, als er gerade keine feste Anstellung als Maler hatte. Ohne Arbeit keinen Mietvertrag, ohne Mietvertrag keine Arbeit. Das Sozialamt wollte ihm einen Platz in einer „Läusepension“ zuweisen, den hat der dankend abgelehnt. „Achtbettzimmer, und dann sind ja nicht alle so sauber...“ Mit drei anderen lebt er jetzt „auf Platte“. Sie teilen sich einen Dachboden. Die nächsten drei Tage wird er mit den anderen Obdachlosen und SozialarbeiterInnen Flugblätter verteilen: „Die Öffentlichkeit mußt du aufrütteln.“ Rund 3.000 Übernachtungsplätze gibt es in den „Läusepensionen“. Mindestens 15 Mark zahlt das Sozialamt pro Person und Nacht. „Das sind rund 16 Millionen Mark, die private Pensionsbesitzer pro Jahr kassieren“, rechnet Jürgen, Sozialarbeiter in der Wärmestube in der Seelingstraße. Wobei er den Begriff „Pension“ ungern verwendet. „Was man heute Pensionen oder Hotels nennt, sind die Elendsquartiere der 80er Jahre.“

Selbst dort sind Betten für Obdachlose immer schwieriger zu finden. Mit Aus- und Übersiedlern läßt sich mehr verdienen das haben die Privatbesitzer erwartungsgemäß schnell begriffen. Die spontane, unbürokratische Hilfe für Aus- und Übersiedler registrieren viele SozialarbeiterInnen aus dem Obdachlosenbereich mit Verbitterung - gleichzeitig müssen sie gegen Ressentiments und Ausländerfeindlichkeit unter den Obdachlosen ankämpfen. Gleichbehandlung aller Wohnungslosen fordern Wohnungslose und SozialarbeiterInnen gemeinsam. Die Menschen jetzt, wie vom Senat geplant, zum Übernachten in Bunker abzuschieben, das ist für Jürgen „purer Zynismus“. Statt dessen müsse für menschenwürdige Übernachtungsmöglichkeiten gesorgt werden.

„Menschenwürdig“ ist ein dehnbarer Begriff, aber eines ist klar: in die Bunker geht keiner von denen, die am Hermannplatz Flugblätter an die Passanten verteilen. „Im Bunker schlafen“, sagt ein Obdachloser und zieht wütend an seiner Zigarette, „nee, das muß nicht sein.“

anb