Griff in eine offene Wunde-betr.: "Freispruch für 'Mörder'-Vergleich", "Drastische Sprache gegen Militärs erlaubt", taz vom 21.10.89, "Das Frankfurter Schandurteil", taz vom 23.10.89, "Gegen Soldaten-Urteil wird weitergetobt",taz v.24.10.89

betr.: „Freispruch für 'Mörder'-Vergleich“, „Drastische Sprache gegen Militärs erlaubt“, taz vom 21.10.89, „Das Frankfurter 'Schandurteil'“, taz vom 23.10.89, „Gegen Soldaten-Urteil wird weitergetobt“, taz vom 24.10.89

Ehrenrührig sei der Vergleich! Er verstoße gar gegen die Menschenwürde! Gegen Ehre und Menschenwürde verstößt etwas ganz anderes, nämlich daß junge Männer - als sei es die natürlichste Sache der Welt - beim Militär zum Töten anderer Menschen ausgebildet werden, Jahrgang für Jahrgang. Wer sich verweigert, wird gering geachtet. Achtung wird gefordert für das Handwerk des Soldaten, und das ist nun mal das Töten von Mitmenschen, in der modernen Kriegsführung auch die Massenvernichtung von Menschen. Wie steht es eigentlich mit deren Ehre und Menschenwürde? (...)

Daß der Vollzug des Kriegshandwerks menschenverachtend ist, darf nicht offen ausgesprochen werden. Ein Mantel aus hehren Worten wird darüber gebreitet; Verteidigung, Freiheit, Frieden, Bereitschaft, das Leben zu opfern, Schwarz soll weiß geredet werden, Orwells „Wahrheitsministerium“ hat sich in Bonn aufgetan. Es wird derjenige als menschenverachtend bezeichnet, der das Soldatenhandwerk als das benennt, was es ist: die Beherrschung von Techniken, die anderen Menschen den Tod bringen, Volksverhetzung wird ihm vorgeworfen von Männern, die veralteten militärischen Denkstrukturen verhaftet sind, Denkstrukturen, die sich spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges als untauglich erwiesen haben, Unbelehrbare halten an diesem Denken fest, als sei es gottgegeben.

Erinnert sei daran, daß Inquisition und Scheiterhaufen auch nicht mehr als gottgewollt gelten, obwohl das jahrhundertelang ein geheiligtes Denkschema war, dessen Infragestellung die gleiche „Bestürzung“ bei den Beteiligten ausgelöst hat wie heute die Infragestellung militärischer Problemlösungen.

Wer Soldat wird, weiß doch eigentlich, worauf er sich einläßt. Und es ist beinahe zu verstehen, daß Militärs ihr Handwerk in der Öffentlichkeit schöngefärbt sehen wollen. Aber um den Frieden zu gewinnen, muß deutlich aufgezeigt werden, was Kriegführen heißt. Und da müssen sich die Soldaten aller Länder sagen lassen, daß ihr Metier sich gegen den Menschen als Geschöpf Gottes richtet.

Bestürzung darüber sollte zum Umdenken führen. Aber selbst unser Bundespräsident tut sich offenbar schwer mit der Bewertung des Soldatseins. Haben ihn seine Erfahrungen mit dem Krieg in diesem Punkt einmal nicht nachdenklich gemacht? Hehre Worte von Ehre, Volk und Vaterland sollten auch damals die Wirklichkeit ersetzen. Will man das heute noch immer? Es gibt keinen guten Krieg - auch nicht, wenn man ihn heute Verteidigungsfall nennt.

Warum die Aufregung über Richter, die sich der Tradition der Schönfärberei nicht verpflichtet fühlen? Warum der vielstimmige Ruf nach einer willfährigen Justiz, die den veralteten Denkmustern des Militärs dienlich und Andersdenkende verächtlich machen soll?

Für Frieden und Freiheit zu leben ist dem Volk allemal dienlicher als dafür zu sterben. Es ist aber auch anstrengender, als sich in entscheidenden Fragen unserer Existenz in die Tasche zu lügen. Alle Hochachtung den Streitern für freie Meinungsäußerung in dieser Sache!

Grundrechte müssen notfalls eben auch gegen den - neuerlich erklärten - Willen von Präsidenten, Ministern, Generälen und parlamentarischen Mehrheiten herausprozessiert werden.

Gundel Hesse, Lehrerin i.R., Hamburg 55

Ich war Soldat, wie diese Millionen ehemaligen anderen. Ich fühle mich durch das Urteil nicht ins Gesicht geschlagen und schon gar nicht in meiner Menschenwürde verletzt.

Soldaten sind potentielle Mörder, denn dazu werden sie ausgebildet, auf welcher Seite sie auch immer stehen mögen. Man muß sich das nur endlich einmal eingestehen. Aber bei gewissen Leuten ist das eben ein Griff in eine offene Wunde.

Lothar Knie, Augsburg

Allen in ihrer Ehre gekränkten und in ihrer Menschenwürde verletzten „Dienenden und Gedienten“ zum Trotz reihe ich mich ein in die Reihe der Gott-sei-Dank-noch-Lebenden-und -nicht-Ermordeten als Part der leider nicht (weil ermordet) oder viel zu wenig vorhandenen (weil ängstlichen) Lobby all der Millionen und Abermillionen Toten aus viel zu vielen Kriegen, die sich nicht mehr gegen ein scheißmilitärisches Geflenne wehren können, weil sie eben tot (ermordet!) sind. Lieber ein verbaler Mörderschänder als ein tatsächlich mordender Soldat!

Wenn mir einer ans Fell will, wehre ich mich. Aber ich bringe nicht meinen Nachbarn um, bloß weil es mir ein Dritter, aus welchen Gründen auch immer, befiehlt, weil es mein Job wäre.

Willi Müller, St.Blasien

Blättert man die Jahresberichte von amnesty international oder irgendein Geschichtsbuch durch, so stellt man fest, daß Soldaten überall auf der Welt Menschen umbringen. Nur in Deutschland ist das anders. Seit vielen 100 Jahren weiß die Welt, daß deutsche Soldaten den Befehl zu töten grundsätzlich verweigern. Nie ist ein Mensch durch einen deutschen Soldaten zu Tode gekommen. Warum sollte das in Zukunft anders sein?

Der Frankfurter Arzt muß verurteilt werden.

Peter Pausch, Heidelberg

Die armen Soldaten, sie haben es nicht leicht. Wenn sie vorhaben, zu ihrem Eid oder ihrem Gelöbnis zu stehen, sind sie potentielle Mörder und Totschläger. Wollen sie dagegen beim Massenmord nicht mitmachen, sondern sympathischerweise die Teilnahme verweigern, so sind sie potentielle Verräter. Nicht einmal die Lösung des Konflikts, Austritt aus der Bundeswehr, darf man ihnen zumuten, denn dann wären sie ja keine Männer mehr, sondern Schwächlinge aus Vernunft.

Peter Papier, Heidelberg

Die Diskussion um das „Soldaten-Urteil“ beweist, daß eine Wunde offengelegt wurde. Sicherlich werden Soldaten zum rationellen Töten abgerichtet, zu nichts anderem, und überhaupt möchte ich denjenigen sehen, der bei Soldatens im Ernstfall und ohne Ernstfall - Töten und Morden auseinanderhalten kann, wenn die Extremsituationen kommen. Welche Situation ist dann keine Extremsituation?

Man sollte aber noch viel weiter denken und der Friedensbewegung zum Hauptthema der neunziger Jahre das Diskussionsthema „Kriegsdienstverweigerung aus Verstandesgründen“ vorschlagen. Es wird höchste Zeit, eine Grundgesetzdiskussion anzukurbeln, um Gewissens- und Verstandesgründe gleichberechtigt und ohne Prüfungskommission in unser Grundgesetz einfließen zu lassen. Auf zu scharfem Nachdenken.

Lienhard Pallast, Hennef 1

(...) In dieser gezielten Stimmung- und Panikmache triumphiert für mich eindeutig das emotionale über das sachlich/nüchterne Denken; denn - der Gedanke an eine Bedrohung aus dem Osten, der sich in den Köpfen bestimmter Leute festgesetzt zu haben scheint, ist längst kein Gegenstand der Sorge mehr. Gorbi sinnt nicht auf Kriege. Wann begreifen das die Scharfmacher in ihrer Hirnenge, wenn sie immer wieder das Kriegsgespenst aus den Kulissen ziehen?

Ich verlange, daß Stoltenberg als Verteidigungsminister abgesetzt wird...

Wolfgang Schröder, Wahnbek

Dem Frankfurter Soldatenurteil und der sich hieran anschließenden Debatte kommt das Verdienst zu, Rechtsverständnis und Denkstrukturen zahlreicher politischer Repräsentanten transparent werden zu lassen. Politisch inopportune Urteile sollen auf dem Wege der juristischen Uminterpretation gesellschaftspolitisch abgefedert und durch geeignete Gesetzesänderungen revidiert werden. Die Reaktionen auf dieses Urteil zeigen die tiefe Legitimationskrise, in der sich die Bundeswehr seit den Abrüstungsinitiativen Michail Gorbatschows befindet. Neben hastig vorgetragenen Solidaritätsbekundungen sowie ostentativer Pflege militärischer Traditionen sollen zunehmende Diskriminierung (sowohl gesellschaftlicher als auch juristischer Art) von Kriegsdienstverweigerern einen obsolet gewordenen Antikommunismus westlicher Prägung substituieren, um die Notwendigkeit militärischer Formationen in Zeiten weltweiter Abrüstung zu legitimieren.

Diese Diskussion zeigt aber auch, wie empfindlich auf den Versuch reagiert wird, den gesetzlich verbrieften Handlungsspielraum im Sinne gesellschaftlicher Kritik auszuschöpfen, sofern diese Kritik in fundamentaler Opposition zu herrschenden Auffassungen steht. Demokratische Rechte und die Freiheit, diese jederzeit ausüben zu können, dürfen aber nicht zu einem Anhängsel politischer Opportunität degenerieren. (...)

Peter Hofmann, Wettenberg 1

Die Entwicklung zum menschenwürdigen Dasein, das für ausnahmslos jede/n gilt, hat mit dem Urteil von Frankfurt am 20.10.89 einen weiteren Hoffnungsschimmer aufglimmen lassen.

Der Freispruch ist eine Entscheidung eines reinen Humanisten. Daß die Staatsdiener - darunter auch der Bundespräsident - dieses lebensbejahende Urteil nicht verstehen und es kritisieren, ist eine Frage des Bewußtseins. Sie stellen die Idee des Staates beziehungsweise einer Institution oder eine Ideologie vor das Leben. Sie begreifen nicht die Gesetzmäßigkeiten des Lebens, jedoch erfassen sie die menscherdachten Gesetze und Vorschriften. Auch solche, die das gezielte Töten legalisieren, um die Institution oder Ideologie zu erhalten.

Wenn die PolitikerInnen versagen, aktiv gewaltlos den Frieden zu erhalten, dann darf gezielt getötet werden. Die Legalisierung entspringt der staatlichen Anonymität - welche Feigheit!

Wäre es nicht „anständig“ dem Bürger gegenüber, bestünde nur ein freiwilliges Heer, oder wenn schon Wehrpflicht, dann sollte jeder zukünftige Soldat einer Gewissensprüfung unterzogen werden, ob er überhaupt töten kann. Und diese Prüfung sollte mit der gleichen Akribie wie die der KDVler durchgeführt werden.

Oh, arme Politiker, dann könnte es sein, daß sie an die Front müßten und der, den sie vorgeben schützen zu wollen, würde dann wirklich das Heim - die Heimat hüten. Das wäre Humanität.

E.-Christian Ahrens, Brühl

(...) Zwei Ursachen hat es, wenn aus der Frankfurter Mücke der bundesrepublikanische Elefant wird: zum einen der permanente Versuch der Union, mit ultrarechten Positionen WählerInnen von den Rechtsextremen zurückzugewinnen. Zum anderen die Gelegenheit, dem wachsenden Legitimationsdruck auf die Bundeswehr zu begegnen. Nachdem nämlich der äußere Feind weggefallen ist, muß man doch der Bevölkerung klarmachen, warum es trotzdem gut ist, eine Armee zu besitzen.

Und so spricht beispielsweise Lambsdorff im Bundestag von UNO-Nachfrage, Umweltschutz etc. und stellt sich (mit seinem Holzbein) vor die Bundeswehr. Oder Dregger - er fühlt sich an Weimar erinnert und macht sogleich aus dem Täter das Opfer.

Nein, nicht das Mordenlernen der Soldaten (aller Soldaten), sondern das Enttabuisieren dessen, was Soldaten im äußeren oder aber auch im inneren „Verteidigungsfall“ tun, ist das Übel. Und sogleich muß am Täter ein Exempel statuiert werden. Wenn dies nicht durch ein teutsches Gericht mögich sein sollte, dann eben mit einer Gesetzesänderung (so Wellershoff). (...)

Und die Friedensbewegung? Außer dem Gegensteuern der grünen ParlamentarierInnen im Bundestag wartet mensch vergeblich auf eine angemessene Reaktion. Hier rächt sich einmal mehr die verpaßte Radikalisierung der Friedensbewegung hin zur Antimilitarismusbewegung. Trotzdem hoffe ich zaghaft, das etwas passiert.

Daß mensch den Mut desjenigen, der es gewagt hat, diese Äußerung so zu formulieren und den Mut derjenigen, die daraus die praktische Konsequenz der totalen Kriegsdienstverweigerung gezogen haben und dafür zu Hunderten in bundesrepublikanischen Knästen verschwinden, mit einer breiten Solidarität honoriert. Warum nicht eine Selbstbezichtigungskampagne ähnlich derer beim Paragraphen 218? Warum nicht politische Patenschaften zugunsten „einsitzender“ Totalverweigerer?

Stefan, Düsseldorf