DDR-Journaille auf Flucht nach vorn

■ Journalistenfunktionär Eberhard Heinrich fordert „kollektive Weisheit“ statt „Selbstherrlichkeit einzelner“ und einen DDR-Regierungssprecher / „Aktuelle Kamera“ im neuen Gewand

Berlin (taz) - Schon zwei Wochen nach dem Führungswechsel an der DDR-Spitze hat sich das Bild der Medien im Lande erheblich verändert. Die Aktuelle Kamera ließ die Zuschauer am Sonntag abend durch ihren Chefredakteur wissen, daß man nun die Nachrichten informativer und im Einklang mit der Realität aufbereiten wolle. Live-Interviews mit Experten und Politikern sollten zum normalen Erscheinungsbild der „AK„ gehören.

Auch das SED-Parteiorgan 'Neues Deutschland‘ hat sich zu einer spannenden Lektüre entwickelt. In der Montagsausgabe bringt es ein Interview mit dem Vorsitzenden des Verbandes der Journalisten der DDR, Eberhard Heinrich. Manche Schranken seien schon gefallen, so der Verbandsfunktionär, die die Journalisten zuvor an einer wirksamen, freien und lebensverbundenen Arbeit gehindert hätten. Dennoch müßten auch seitens der Regierung konstruktive Maßnahmen folgen, um die staatliche Öffentlichkeitsarbeit voranzubringen.

Ausdrücklich wendet sich Heinrich gegen eine Tendenz, die heute allein die Journalisten für eine verfehlte Medienpolitik der Gesellschaft verantwortlich machen will. „Viele Institutionen und Einrichtungen, deren Mitarbeiter heute im Dialog den Medien mangelnde Offenheit oder Schönfärberei vorwerfen, haben uns gestern mit geschönten Informationen beliefert oder uns Auskünfte verweigert.“ Für die Journalisten sei es sehr schmerzlich gewesen, Stoffe und Argumente nicht verwenden zu dürfen, weil sie angeblich dem Sozialismus schadeten. An die Stelle der „Selbstherrlichkeit einzelner“ müsse nun die „kollektive Weisheit“ in der Informationspolitik treten. An die Adresse der Politiker meinte Heinrich, „diejenigen, die über Informationen verfügen und bisher damit, um es vornehm auszudrücken, sehr zurückhaltend umgegangen sind, sind nicht weniger angesprochen“.

In diesem Zusammenhang warte man auf die Ernennung eines Regierungssprechers, die der Journalistenverband vorgeschlagen hat.

khd