UdSSR im IWF: Großmacht oder Entwicklungsland?

■ Im Zuge der angestrebten Wirtschaftsreformen stellt sich für immer mehr Ostblockstaaten die Frage nach einer Mitgliedschaft im Internationalen Währungsfonds

Wir dokumentieren in Auszügen einen Vortrag der RWG -Wirtschaftsexpertin Petra Pissulla vom HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung (Hamburg) auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde Anfang Oktober. Die Passagen, die von den beidseitig enttäuschenden Beziehungen des IWF zu Rumänien sowie den etwas gedeihlicheren zu Ungarn mußten gekürzt werden. (d. Red.)

Nachdem die Sowjetunion Mitte 1986 erstmals ihre Fühler in Richtung IWF ausgestreckt hatte, kündigte sie Mitte September dieses Jahres - kurz vor der Jahrestagung von IWF und Weltbank - in New York ihren bevorstehenden Aufnahmeantrag an. Wird dieser Antrag angenommen, wird die Sowjetunion nach Rumänien, Ungarn und Polen das vierte Mitgliedsland aus dem europäischen RGW-Bereich. Neben der UdSSR haben auch die CSSR, die 1954 aus dem Fonds ausgeschlossen worden ist, und Bulgarien Interesse an einer erneuten beziehungsweise erstmaligen Fondsmitgliedschaft bekundet.

Die Zusammenarbeit der drei Länder mit dem Fonds entwickelte sich mit recht deutlichen Unterschieden und keineswegs problemlos, wobei ein Teil der Schwierigkeiten des Fonds im Umgang mit den sozialistischen Ländern nicht zuletzt daraus resultiert, daß sich seine Aufgaben seit Bretton Woods von der reinen Kreditgewährung zur Überbrückung kurzfristiger Zahlungsbilanzschwierigkeiten immer stärker hin zu einer langfristigen wirtschaftlichen Sanierung der betroffenen Länder verschoben hat. In diesem Zusammenhang hatte der IWF 1982 in einer unveröffentlichten Untersuchung die Frage, ob ein sozialistisches planwirtschaftliches System und die Anpassungsempfehlungen des Fonds kompatibel seien, positiv beantwortet, und zwar vor allem deshalb, weil Zentralverwaltungswirtschaften ähnliche Merkmale aufweisen wie viele der Entwicklungsländer, in denen die Fondspolitik sich bis dahin als anwendbar erwiesen hätte. Entsprechend wurden für die sozialistischen Fondsmitglieder genau jene Maßnahmen verordnet, die der Fonds stets in Fällen anwendet, bei denen ein außenwirtschaftliches Ungleichgewicht durch einen binnenwirtschaftlichen Nachfrageüberhang verursacht wird.

Hatten sich die Beziehungen des IWF zu Rumänien letztlich vor allem für den Fonds als sehr unbefriedigend erwiesen, so gestalteten sich seine Beziehungen zu Polen bislang vor allem für Polen enttäuschend. Nicht nur, daß das Land infolge des Kriegsrechts - fünf Jahre bis 1986 auf die Annahme seines Mitgliedsantrags warten mußte, es hat bisher auch noch keine Zahlungsbilanzhilfe des Fonds erhalten. Für Polen, das Kredite heute so nötig braucht wie vor fast zehn Jahren, ist die fehlende Einigung mit dem Fonds deshalb besonders ärgerlich, weil sie auch die Kredite der Weltbank blockiert, die - kumuliert - sehr häufig ein sehr viel höheres Gesamtvolumen erreichen als die kürzerfristigen Kredite des Fonds.

Als Polen 1981 in erste Umschuldungsverhandlungen mit westlichen Banken eintrat, wurde von diesen die Mitgliedschaft Polens im IWF mehr oder weniger als Voraussetzung für erfolgreiche Verhandlungen gefordert. Banken und auch Polen selbst erhofften sich dabei zum einen rasche finanzielle Hilfe des Fonds; zum anderen wurde aber auch dem - wie es vom Fonds ausgedrückt wird nichtmateriellen Nutzen einer Fondsmitgliedschaft große Bedeutung beigemessen: Polen hoffte, sich das Fachwissen der Finanzexperten des Fonds zunutze machen zu können und die notwendigen Wirtschaftsreformen unter dem Druck einer unabhängigen internationalen Organisation leicht gegen Reformgegner durchsetzen zu können.

Die Finanzhilfen lassen bis heute auf sich warten, von den Reformdiskussionen mit dem Fonds allerdings hat Polen sicherlich profitiert. Schon 1982 waren Reformmaßnahmen im Bereich der Preis- und Wechselkurspolitik und Maßnahmen zur Drosselung der inländischen Nachfrage auch in Abstimmung mit den Fondsempfehlungen durchgeführt worden. In bezug auf die finanziellen Hilfen hofft der IWF nun, zusammen mit Polen bis November 1989 ein akzeptables Anpassungsprogramm entwickelt zu haben, so daß ein erster Standby-Kredit in Höhe von voraussichtlich 0,7 bis 1,0 Milliarden US-Dollar freigegeben werden kann. Bei einer mittlerweile mehr als 39 Milliarden Dollar betragenden Bruttoverschuldung Polens (Ende 1988) und der jährlichen Schuldendienstbelastungen in Höhe von ungefähr sechs bis sieben Milliarden Dollar (vor Umschuldungen) kann allerdings die Fondshilfe nur eine vergleichsweise geringe Entlastung bedeuten. Zur Zeit kann ein Land maximal 400 bis 440 Prozent seiner Quote innerhalb von drei Jahren ziehen, was im Falle Polens maximal 2,7 bis drei Milliarden Sonderziehungsrechte (SZR) wären.

Es besteht ein deutlicher qualitativer Unterschied zwischen der UdSSR als potentiellem IWF-Mitglied und den kleineren RGW-Staaten, die als Entwicklungsländer eingestuft sind oder - wie Bulgarien - künftig eingestuft werden können. Die UdSSR hingegen beansprucht und hat Großmachtstatus. Ihr Anteil am Welthandel ist klein und ihre Warenstruktur diejenige eines Entwicklungslandes - selbst im Handel mit etlichen Drittel-Welt-Ländern. Ganz anders ist ihre Situation in den Weltfinanzbeziehungen: Die Sowjetunion gilt als Kreditnehmer als erste Adresse, und sie verfügt über bedeutende Goldreserven und Vermögenwerte. 1944 wurde die Sowjetunion, die ja aktiver Verhandlungspartner in Bretton Woods war, mit einer Quote von damals 1,2 Milliarden US -Dollar hinter den USA und Großbritannien in die dritte Position eingestuft. Es ist nicht einfach, die Position einzuschätzen, die die UdSSR im Falle einer Fondsmitgliedschaft heute einnehmen könnte. So wird beispielsweise vom französischen Ostwirtschaftsexperten Marie Lavigne geschätzt, daß die Sowjetuion mit Blick auf die Quoten- und damit Stimmenverteilung die künftige Nummer vier im Währungsfonds sein könnte.

Wird dagegen unterstellt, daß die UdSSR alle regulären Quotenerhöhungen des Fonds seit 1945 mitgemacht hätte, würde die heutige Quote der UdSSR beim rund 8,2 Milliarden Dollar, das heißt - umgerechnet zum gegenwärtigen Wechselkurs - bei etwa 6,4 Milliarden SZR liegen. Und das würde nach den USA die zweite Position bedeuten, was allerdings bei Berücksichtigung der geringen sowjetischen Handelsverflechtung und ihres vergleichsweise niedrigen Pro -Kopf-Sozialprodukts - Daten, die unter anderem die Quotenhöhe bestimmen - nur schwer vorstellbar wäre. Eine Mitgliedschaft der UdSSR würde aber ohne Frage das Gewicht der heute wichtigsten fünf Fondsmitglieder relativieren.

Allerdings wäre die Stellung der Sowjetunion im Fonds trotz der zu erwartenden hohen Quote - zunächst eher eine untergeordnete, da ihre Rolle aufgrund der - noch fehlenden Rubelkonvertibilität auf die eines potentiellen Kreditnehmers beschränkt wäre. Ihre Währung käme weder für Kreditzwecke des Fonds noch als Reservemittel in Frage. Kann allerdings die langfristig angestrebte Konvertibilität des Rubels im Zuge der Reformen und einer gesteigerten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durchgesetzt werden, dann würde die Bedeutung der UdSSR im internationalen Währungssystem deutlich zunehmen. In jedem Falle setzt die Sowjetunion mit ihrer veränderten Haltung gegenüber dem IWF wichtige Signale für ihre Bereitschaft, gemeinsam mit Ländern unterschiedlicher Wirtschaftsordnung an weltweiten Problemlösungen zu arbeiten.