Aus dem Schoße der Militärregierung

Turgut Özal, der neue Staatspräsident der Türkei, verdankt seinen Aufstieg den Putschisten  ■ P O R T R A I T

Szenenfolgen flimmern über den Bildschirm: Turgut Özal mit Kohl. Turgut Özal mit Thatcher. Turgut Özal gibt im Flugzeug ein Interview. Gewaltige Brücken und Viadukte werden im Land gebaut. Schüler hocken hinter Computern. „Die Türkei ist ein krisenfreies Land, deshalb entwickelt sich unser Tourismus“, heißt es in der Bildfolge, in der eine Touristin Dollars in einer Bank zum Wechseln hinblättert. Immer wieder Autobahnen, Autobahnen, Autobahnen. Dann ein Ausschnitt von der Regierungserklärung Özals vom 19.Dezember 1987. „Die Türkei rennt in die Zivilisation.“ Schließlich erscheint Turgut Özal, um seine letzte Ansprache als Ministerpräsident zu halten. „Liebe Bürger“, sagt er am Montag im Fernsehen, „unser größtes Verdienst war, daß wir euch die Augen geöffnet haben, daß wir euch zu Weltbürgern gemacht haben.“ Trotz öffentlichen Protests, trotz des Wahlboykotts der Oppositionsparteien - Özal ist im türkischen Parlament zum Staatspräsidenten gewählt worden.

Der konservative Politiker Demirel nannte ihn einen „schamlosen Lümmel“. Demirel mag nicht an die Tage denken, wo er Özal als Staatssekretär in die Politik holte. „Ich habe Özal 1979 in ein hohes Amt geholt. Wenn ich es nicht gegan hätte, wer würde Özal heue schon kennen. Hätte ich bloß davon abgelassen. Der türkischen Nation wären diese bösen Tage erspart geblieben. Ich werde von Gewissensbissen geplagt.“ Der Meister Demirel hockt heute „eifersüchtig“ (Özal über Demirel) auf den Oppositionsbänken, der „unfähige Lehrling“ (Demirel über Özal) ist Staatspräsident geworden. Die Feindschaft rührt aus den Tagen nach dem Militärputsch 1980. Während die Soldaten in den Straßen Linke jagten und Politiker wie Demirel und den Sozialdemokraten Bülent Ecevit in die Verbannung schickten, kroch Özal aus dem Schoße der Militärregierung unaufhaltsam zur Macht empor. 1983 beauftragten die Militärs vertraute Waffenbrüder damit, Parteien zu gründen. Özal gewann die nächsten Wahlen. Der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber und spätere US-Außenminister Alexander Haig hatte sich persönlich bei dem Putschisten Evren für özal eingesetzt. Die Geburtshelfer Özals politischer Karriere waren die Generäle, die Premier Demirel stürzten und das türkische Parlament auflösten. Ihnen galt Özals Dank: „Der 12.September (1980, Datum des Militärputsches) hat ein großes Werk vollbracht. Wer dies leugnet, gehört zu denjenigen, die, wie der Koran sagt, blind und taub sind und deren Herzen verriegelt sind.“

Der ehemalige Wahlkandidat der islamisch -fundamentalistischen „Nationalen Heilspartei“ Özal war es, der später als Ministerpräsident Koran-Suren in die Politik einführte.

Seinen Ruhm als unerbittlicher Feind der Arbeiterbewegung erwarb er sich bereits ab Mitte der siebziger Jahre. Während eines Streiks 1975 als Manager der Firma Elektrometal eingesetzt, war seine erste Diensthandlung nach Aufnahme der Produktion, 186 Gewerkschafter zu entlassen. Nachdem die Militärs die Gewerkschaftsbewegung zerschlagen hatten, arbeitet er emsig an Verwirklichung seines wirtschaftspolitischen Kredos. Zuerst als wirtschaftspolitischer Berater der Militärregierung, später als Ministerpräsident: Schluß mit Staatssubventionen, Beschneidung des Konsums, Einfrieren der Löhne und Gehälter.

Bei den vergangenen Kommunalwahlen erhielt die Mutterlandspartei nur 22 Prozent der Stimmen, nach Meinungsumfragen erhielte Özal heute 14 Prozent der Stimmen. Man tut Özal mit dem Verweis auf Wahlergebnisse und Popularitätskurven unrecht. Er ist ein außerordentlich erfolgreicher Politiker. Stück für Stück mußten die Generäle an ihn Macht abtreten. Er hat sie dankbar angenommen. Genannt wurde es Demokratisierung. Die Repression, Menschenrechtsverletzungen, die Folter auf den Polizeiwachen gingen weiter. Nach der Verfassung der Militärs genießt der Staatspräsident umfassende Vollmachten. Die Verfassung war auf den Putschgeneral Kenan Evren zugeschnitten. Evren tritt nun ab, um Özal seinen Platz zu überlassen. Einfache Bürger, die aufmuckten, wurden von seinen Anwälten mit Prozessen überhäuft. Selbst gegen einen Schüler, der im Türkischaufsatz Böses über Özal geschrieben hatte, wurde Anzeige von Özal erstattet. Auf Beleidigung des Staatspräsidenten drohen jahrelange Gefängnisstrafen. Eine Prozeßflut wird nun erwartet. Denn Özal ist kleinlich. „Die Präsidentschaftswahlen werden durchgeführt werden. Das Krisengerede wird ein Ende nehmen. Nach den Wahlen wird noch mehr ausländisches Kapital in die Türkei fließen“, hat er vor einer Woche erklärt.

Ömer Erzeren