„Das Streikziel nicht erreicht“

■ Interview mit dem Gewerkschaftssekretär Helmut Thiel über den verlorenen Kampf

Helmut Thiel ist Sekretär der Gewerkschaft Handel Banken und Versicherungen (HBV). In seine Zuständigkeit fällt der Arbeitskampf um den „Dienstleistungsabend“

taz: Schon am fünften Dienstleistungsabend haben in Bremen alle großen Häuser bis auf Karstadt geöffnet. Eine böse Überraschung?

Helmut Thiel: In der Form habe ich das nicht erwartet, nicht für dieses Jahr. Erstens gelten die bestehenden Betriebsvereinbarungen bis Ende des Jahres, und zweitens ist die Existenz der Betriebe auch nicht gefährdet. Wir haben ja die bundesweit strengste Tarifregelung in Bremen. Was hier passiert ist, sind alles freiwillige Regelungen zwischen den Betriebsräten und der Unternehmensleitung.

Worauf führen Sie diese freiwilligen Vereinbarungen zurück?

Darauf, daß die nicht-tarifgebundenen Unternehmen einen außerordentlichen Konkurrenzdruck ausgeübt haben durch ihre Öffnung, daß die Verbraucher stärker den Dienstleistungsabend angenommen haben, als wir erwartet haben. Zum dritten wurden Betriebsräte, wie etwa bei „Realkauf“, damit erpreßt, daß betriebliche Sonderleistungen wie Weihnachtsgeld gestrichen würden, wenn sie den Vereinbarungen nicht zustimmen.

Ihre Gewerkschaft hat ihr Streikziel verfehlt.

Das Ziel, die Abendöffnung zu verhindern, haben wir nicht erreicht. Ich sage aber auch ausdrücklich, daß deswegen der Streik nicht sinnlos war. Weil wir neben der Tarifregelung noch erhebliche andere Regelungen durchgesetzt haben, die wir ohne Streik nie bekommen hätten. Der vierjährige Erziehungsurlaub, Mindestschutzregelungen für Teilzeitkräfte, zusätzlich die Arbeitszeitverkürzung auf 37,5 Stunden ab '91... Das Hauptziel war allerdings, da gibt es überhaupt nichts daran vorbeizureden, die Abendöffnung zu verhindern, und das haben wir natürlich nicht geschafft. Ich sag aber nicht Mißerfolg, weil ich das in Verhältnis zu den anderen Regelungen setze.

Viele Frauen im bremischen Einzelhandel haben zum ersten Mal gestreikt. Hat die HBV nicht bei denen verspielt?

Allen Streikenden war von vorneherein klar, daß hier eine Öffnungsklausel mit rein kommt, und ich habe immer zu den Streikenden gesagt, wenn der Damm nicht mehr zu halten ist, weil ringsrum die Lichter angehen, sei es in Niedersachsen oder in der Innenstadt selbst, dann werden wir auch diejenigen sein, die die Abendöffnung mitzuverantworten haben, das wußte jeder.

Wie gehen Sie persönlich mit dem Ergebnis um?

Ich hab da ein gespaltenes Verhältnis zu. Auf der einen Seite bin ich sicherlich enttäuscht, auf der anderen Seite muß ich mit dem Ergebnis umgehen könnne, das gehört zu meinem Job.

Würden Sie im nachhinein was anders machen?

Das kann ich zur Zeit nicht sagen. Ich muß das für mich selbst noch Mal aufarbeiten. Fehler macht sicherlich jeder. Aber das Streikziel und das, was an Streikergebnis rausgekommen ist, da würde ich mit Sicherheit nix anders machen. Ob man jetzt in der Umsetzungsphase das eine oder andere hätte anders machen können, das will ich nicht ausschließen. Als die Unternehmen rangegangen sind, sehr frühzeitig die Betriebsräte unter Druck zu setzen, da hätte man vielleicht ein Stück vorbereiteter rangehen müssen. Wir waren vielleicht mehr in dem Glauben, wir haben einen guten Tarifvertrag, und die Unternehmer werden es nicht wagen, ihn anzutasten.

Fragen: Barbara Debus