ROBBEN IN ÖL

■ Der Endverbraucher der Umweltverschmutzung

Hand ans infarktgefährdete Herz: Haben wir als Berliner Kulturvermittler im Dauerschock schon wieder den letzten Aufschrei der gequälten Kreatur Künstler verpaßt? Eine Kunstmesse von faszinierender Brisanz glatt übersehen? Ein Anruf bei der sonst dafür gewöhnlich zuständigen AMK bringt leichten Abstieg des Adrenalinspiegels: „Infa? Nie gehört. Bei uns jedenfalls nicht.“ Also nicht in Berlin, sondern im wilden Westen. Wo ein Redaktionsbüro sitzt, ist die Messe nicht weit, sagt ein alter Recherchespruch. Erstmal lerne ich, daß Langenhagen letzthin von Hannover eingemeindet worden ist und kein eigenes Rathaus besitzt. Nach längerem Suchen findet die Auskunftsfrau aber doch eines. Dort wird die unbekannte Messe sofort als „Hausfrauenmesse“ identifiziert. Beim Messebüro entwickelt sie sich zur „Endverbraucher-Ausstellung“ mit den Unterabteilungen Wohnen, Natur, Freizeit, Genußmittel, Bauen etc. Die Fäden im Hintergrund zögen der Deutsche Hausfrauenbund, 25 Innungen der Handwerker, Versicherungen und nicht zuletzt das Bundespresseamt. Zum Besuch locken nach den Worten des Pressemessechefs Eggert allein achtzig Küchen unterschiedlicher Bauart.

Auf die Frage wie denn ein „Schocker“, der die „Tragödie der Menschheit, die Umweltverschmutzung und die Qualen der Kreatur Tier“ so überaus brillant ins Bild bringt, zwischen die Küchen paßt, bietet Herr Eggert an, mal eben an diesem auch ihm bislang unbekannten Stand nachzuschauen und mich gleich zurückzurufen. Sein Rapport: Also, es sei ein relativ kleiner Stand in einer der Hallen (sie haben acht davon), die böten dort einen einzigen Künstler an. Sonst habe die Halle nicht unbedingt was mit Kunst zu tun, es sei die Halle der Nationen, allerdings hätte seine Tochter, die Visagistin ist, ihren Stand gleich daneben. Vielleicht sei ja der Aussteller einfach deshalb da reingerutscht, weil er sich zu spät angemeldet hat. Wo würde denn seiner Meinung nach ein solcher Stand eher hinpassen? Na, vielleicht in die Abteilung Wohnen und Einrichten. Ob ihn das Bild schockiert habe. Nein, schockierend finde er das nicht, das sei halt ein Schiff mit ein paar Robben davor. Ansonsten stünden da noch mehr in manierlichster Manier gehaltene Ölbilder herum, meistens wären auch Frauen drauf und so. Schockiert stehen bleibende Besucher hat er nicht gesehen. Aber er schicke mir gleich mal diesen Herrn Köhler vom Redaktionsbüro ans Telefon.

Und der stellt sich heraus als Marketingmanager einer Firma, die alle drei Jahre einen Künstler vermarktet. Die Künstler holt man sich von der Kunstakademie, wenn sie „weltberühmt“ sind und „brisante Themen“ „klasse malen“. Tatsächlich hat er sich zu spät angemeldet und ist deshalb in diese Halle gekommen. Andererseits weiß er keine Halle, wo er lieber wäre auf der Verbrauchermesse, sondern hätte am liebsten eine Halle nur für „die Kunst“. Leben tut er und sein Künstler von Postern und Kunstdrucken, die „viele Studenten“ kaufen. Die Messe sei erst mal ein Test. Ansonsten will er nach: Hamburg, München, Stuttgart, New York - und natürlich Berlin. „Vielleicht können Sie mir helfen, diesen bedeutenden tschechischen Künstler nach Berlin zu bringen...“ In dem Katalog, den er exklusiv mir zukommen läßt, lese ich, daß ich alle abgebildeten Kunstwerke, also saufende Jugendliche mit offenen Hosen, Frauen mit Nogger-Nuß-Eistüten auf den Brüsten, Vergewaltigungen im Zugabteil und natürlich auch die beigelegten putzigen Robben zwischen den lustigen gelben Öltonnen, in großartiger Druckqualität für je 200 Mark bestellen kann (ab drei Stück 15Prozent Rabatt). Warum? „Sie erhalten mit diesen Kunstwerken eine wertbeständige, schöne Kapitalanlage. Wir bieten Ihnen diese Kunstwerke an, weil wir hoffen, daß Sie Freude mit einem Josef Hozak in Ihrer Wohnung, Ihrem Büro oder Ihrem Geschäft haben werden.“ Herr Köhler versteht, wie er sagt, was von Kunst, denn er war Kulturredakteur bei der Stadtzeitung 'Hannoversches Leben‘. Eine Stadtzeitung oder ähnliches mit diesem Titel ist einem altgedienten Hannoveraner allerdings unbekannt. Wohl aber gibt es eine gleichnamige (Über-)Lebensversicherung, und die gibt immerhin einen Geschäftsbericht heraus.

DoRoh