Grüne Senatorin ertrinkt im Giftmüll

■ Internes Senatsgutachten ruft den Giftmüll-Notstand aus / Deponie Vorketzin: „ungeeignet“ / Andere Anlagen: „marode“ / Personal reicht „nicht annähernd“ aus

In Berlin herrscht „faktisch eine Art Sonderabfall -Notstand“. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten, das von der AL-nahen Umweltsenatorin Schreyer unter Verschluß gehalten wird. Der Gutachter führt die „katastrophal(e)“ Lage „in erster Linie auf fehlende politische Initiativen“ der Vorgängersenate zurück, räumt aber ein, daß auch die neue Stadtregierung vor einer „kurzfristig unlösbaren Aufgabe“ steht.

Das Papier, das der taz vorliegt, benennt auf 37 Seiten „Die Defizite der Berliner Sonderabfallentsorgung“ (Titel). Dem Senat fehlt, folgt man dem Gutachten, nicht nur ein genauer Überblick, wieviel giftiger Industriemüll in Berlin überhaupt anfällt und wo diese Rückstände landen; es fehlt auch an geeigneten Entsorgungsanlagen.

Die 1977 in Vorketzin/DDR gebaute Hausmülldeponie, auf der bisher jährlich fast 40.000 Tonnen Sondermüll abgeladen wurden, sei dafür technisch „ungeeignet“, stellt das Gutachten ohne Wenn und Aber fest. Schreyer hatte sich im August vorsichtiger ausgedrückt: „wahrscheinlich“ sei die Kippe der falsche Platz für flüssige Sonderabfälle. Während die Senatorin weiterhin Genehmigungen für Mülltransporte nach Vorketzin ausstellt, erteilt das Gutachten dieser Praxis eine Absage. Genehmigungen dürften „aus Umweltsicht nicht mehr erteilt werden„; sie seien auch rechtlich nicht mehr erlaubt.

Diese Aussagen gewinnen besondere Brisanz, seit bekannt ist, daß auch die Sondermüllverbrennungsanlage in Schöneiche/DDR vorerst nicht in Betrieb gehen kann. Sie sollte jährlich 15.000 Tonnen Sondermüll verbrennen, stößt dabei jedoch zuviel Quecksilber und Dioxin aus.

Während der alte Senat die jährliche Berliner Giftmüll -Menge auf etwa 50.000 Tonnen schätzte, hält das Schreyer -Gutachten die doppelte Menge für „realistisch“. Genauere Informationen hat der Senat jedoch nur über die knapp 40.000 Tonnen, die in der DDR landen. Der Rest versickert auf dunklen Wegen.

Die Razzia am 25. Mai, bei der über 300 Betriebe kontrolliert worden waren, habe „in mehr als zwei Dritteln der Fälle Deklarationsmängel“ aufgedeckt, erinnert der Schreyer-Gutachter. „Unklar“ sei, in welchem Umfang Sonderabfälle nach Westdeutschland und ins Ausland gelangten.

Flüssige Abfälle - das Gutachten nennt vor allem Säuren und Laugen, sowie Entwicklungs- und Fixierbäder - werden von den Betrieben zum Teil einfach ins Abwasser geleitet. „Teilweise erschreckende Zustände“ herrschten bei der Entsorgung von Lösemitteln; die Kontrollaktion im Mai habe „bei den beiden wichtigsten Entsorgungsfirmen eine Vielzahl von Verstößen gegen abfallrechtliche Bestimmungen zu Tage“ gebracht.

Nicht viel besser sieht die Lage beim Altöl aus: „Die Lager des mit Abstand wichtigsten Altöl-Unternehmens (SAG Schüttler, d. Red.) befinden sich in einem maroden Zustand“, heißt es in dem Gutachten. „Erhebliche Zweifel“ bestünden auch an der „Zuverlässigkeit des Betreibers“ dieses Tanklagers. 1.600 Tonnen Altöl seien im letzten Jahr in Vorketzin gelandet, berichtet das Gutachten. Noch im August hatten BSR-Chef Georg Fischer und Umweltsenatorin Schreyer derartige Meldungen als „falsch“ abgetan.

Allein für die „Ordnung“ der Giftmüllbeseitigung seien vom Senat „immense Anstrengungen“ gefordert, folgert das Gutachten. „Besonders schwer“ werde es die rot-grüne Regierung darüber hinaus haben, das Anfallen von Giftmüll von vornherein zu vermeiden oder ihn zu verwerten. „Konzeptionell“ gebe es „keine brauchbaren Vorarbeiten„; der „Bestand an qualifiziertem Personal“ reiche „nicht annähernd“ aus. Die Berliner Giftmüll-Praxis sei nicht nur unvereinbar mit den geltenden Bundesgesetzen, sondern hinke auch allen anderen Bundesländern hinterher. Die Landesgesetzgebung sei lückenhafter als in jedem anderen Bundesland: Das Gutachten spricht von „haarsträubenden Rechtszuständen“.

Die Vorgängersenate konnten sich ihre Untätigkeit offensichtlich deshalb erlauben, so deutet das Gutachten an, weil ihnen die „billige Ablagerung“ in der DDR offenstand.

Dieser Weg sei heute „nicht mehr verantwortbar“. Weil keine Alternativen zur Verfügung stünden, könne der Senat jetzt in eine „Zwickmühlensituation“ geraten: „Bei zu geringen vertretbaren Entsorgungskapazitäten wird der Senat unter erheblichen Druck geraten, unzureichende Beseitigungsformen zu akzeptieren.“

hmt