Bebilderte Schrift

■ „Follow me“ von Maria Knilli

Die Gassen Prags, der Wiener Zentralfriedhof, der Berliner Grunewald, die Flughäfen von Budapest und Paris-Orly: das sind die Drehorte.

Deutsch, Tschechisch, Russisch, Französisch, Englisch, Polnisch, Rumänisch, Ungarisch, Bulgarisch, Österreichisch: das sind die Originalsprachen. Der Film handelt von einem Opfer des Prager Frühlings, von Exil und Emigration, von Ost -West-Europa. Follow me ist hochaktuell.

Hauptdarsteller ist der Tscheche Pavel Landovsky. Mit 12 mußte er die Schule wechseln, weil er geschworen hatte, den Direktor solange zu ärgern, bis der daran sterbe. Mit 18, beim Militär, behauptet er, er sei Schauspieler, woraufhin er mit der Gründung einer Armeetheatergruppe beauftragt wird. Mit 34 ist er ein berühmter Film- und Theaterschauspieler, mit 35 bekommt er den sowjetischen Publikumspreis „Bester Schauspieler des Jahres“. Im selben Jahr, 1971, wird in der CSSR seine One-man-Show Die Besucher verboten. Ein Jahr später Medienverbot. 1976 wird ihm jede kulturelle Tätigkeit untersagt. 1977 wird er verhaftet, wegen der Charta77. 1980 wird ihm die tschechische Staatsbürgerschaft aberkannt. Er ist Schauspieler am Wiener Burgtheater. In der Kundera -Verfilmung Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins spielt er den Bauern mit dem Schwein.

Außerdem spielen mit: der französische Kinostar Marina Vlady, Katharina Thalbach und Schauspieler aus aller Herren Länder. Die Regisseurin, Maria Knilli, ist 30 Jahre alt, ihr Debütfilm Lieber Karl von 1984 war beachtlich.

Follow me hat also die besten Voraussetzungen. Erzählt wird die Geschichte eines Prager Philosophieprofessors, der nicht mehr lehren darf und deshalb Totengräber wird. Er emigriert vom (osteuropäischen) Friedhof auf einen (westeuropäischen) Flughafen, um am Ende noch einmal nach Prag zurückzukehren. Die Behörden schnappen ihn. „Sie waren nicht in Prag. Niemand hat Sie gesehen. Sie vergessen, und wir vergessen, daß Sie existieren.“

Aber diese Geschichte erzählt Maria Knilli nicht. Sie hat nur die Idee davon. „Der Mensch ist das, was er aushalten kann“, sagt Landovsky. Auf dem nächtlichen Fest im Wald illustriert einer der Gäste diese Weisheit: Er hält ein Ei in der Faust und drückt von allen Seiten zu, so fest wie er kann. Das Ei geht nicht kaputt. Die Szene macht nur Sinn, wenn man den Satz von Landovsky kennt. Kennt man ihn nicht, ahnt man bloß: das Ei ist symbolisch.

Ähnlich die Falken im Flugzeugbauch. Gefangene Vögel, später losgelassen auf der nächtlichen Landebahn, um schließlich vom Flughafenpersonal wieder eingefangen zu werden. Mit der Geschichte haben die Falken nichts zu tun. Sie sind bloß da, um zu bedeuten. Diesmal gesellt sich zur Symbolik noch ein Schuß Mystik, a la Tarkowsky. Manchmal gibt es sogar Zwischentitel, wie in den Stummfilmen. Dann kann man lesen, was zu sehen ist.

Nicht daß es keine schönen Bilder gäbe. Maria Knilli hat einen ausgeprägten Sinn für Kameraeinstellungen. Ein Flugzeugstart zum Beispiel: Man weiß nicht, ob sich das Flugzeug nähert oder entfernt - keine Ahnung, wie sie das macht.

Jedenfalls guckt (und hört) sie genau hin: auf die Hände der wartenden Passagiere zum Beispiel. Oder auf das Geräusch, das die Schaufel beim Grabausheben macht: das Ostinato zum Filmvorspann. Auf Augen, Räume, Bewegungen.

Den Großaufnahmen korrespondieren Aufsichten und Luftaufnahmen. Oft wirkt die Kamera wie gebannt: langsame Kameraschwenks, Standbilder, eine beinah leere Leinwand. Immer wieder filmt Maria Knilli den Himmel mit fast nichts drin. Sie hat was gegen die „Diktatur des Fernsehaugenblicks“ und setzt ihr Bilder entgegen, die das Laufen schon fast wieder verlernt haben. Fast scheint die Regisseurin zu fürchten, daß etwas geschieht. Das Presseheft erläutert statt dessen ausführlich die „Poetik der Personen“ und die „Rhetorik der Orte“.

Follow me ist Kunstkino von der langweiligsten Sorte: bebilderte Schrift. Selbst der Filmtitel ist ein Schriftzug

-der auf dem Auto, das die Flugzeuge auf die Piste lotst. Follow me - eins nach dem andern. Ordentlich aufgereiht filmt Maria Knilli selbst noch die Piktogramme im Flughafengebäude ab. Auch von den guten Schauspielern macht die Regisseurin keinen Gebrauch. Am Schluß sitzt Pavel noch einmal im Flugzeug Richtung Westen. Diesmal ist es endgültig. Sein Gesicht in Großaufnahme. Den peinlich -komischen Grimassen sieht man die Regieanweisung förmlich an: Er soll jetzt ein lachendes und ein weinendes Auge in Szene setzen. Als ob seine Gesichtszüge nicht ohnehin für sich sprächen.

Pavel heißt im Film mit Nachnamen Navratil. Das klingt nach Erzählen. Aber erzählt wird nicht. Was Knilli fehlt, ist ein Drehbuch.

chp

Maria Knilli: Follow me. Mit Pavel Landovsky, Marina Vlady, Katharina Thalbach, BRD 1988, 104 Minuten