„Hier Hamlet“, sagt der Held am Telefon

■ Aki Kaurismäkis neuer Film

Fassbinder ist tot, aber Aki Kaurismäki lebt, und er macht sich daran, sein Nachfolger zu werden. Beide haben eine Menge gemeinsam: die manische Arbeitswut, eine Haßliebe zu ihrem „Vater„land und den teilnehmenden Blick auf jene, die am Rande stehen. Beide haben als Einzelpersönlichkeiten eine Filmfamilie um sich versammelt, die den eigenartigen Stil ihrer Filme mitbestimmt. Beide haben ihr eigenes Kino im Blick auf alte Hollywoodfilme entworfen, ohne bei Imitationen oder Remakes zu enden. Und beide haben eigene Handschriften ins Kino eingebracht - die allerdings voneinander sehr verschieden sind.

Kaurismäkis Spezialität ist die ruhige und kühle, fast bewegungslose Inszenierung von menschlichen Dramen. In einer Atmosphäre tiefer Traurigkeit taucht aber immer wieder auch die Depression als Komödie auf - eine schillernde Malerei in Grau.

Hamlet Goes Business, schon vor Ariel entstanden, ist Kaurismäkis schwärzester und kunstvollster Film. Aus seiner düster klaustrophobischen Stimmung blinkt hier auch die Komik. Anders aber als in Ariel oderSchatten im Paradies ist es nicht das warme Licht der Sympathie und Anteilnahme, das die Figuren erhellt: In Hamlet führt die Komik zur Entlarvung lächerlichen seelischen Kleinformats.

Mit einem dicken Stück Schinken in der Hand kommt Hamlet in das Arbeitszimmer seines Vaters, der soeben vergiftet worden ist. Kauend betrachtet er ihn, legt dann den Schinken zur Seite, um den Toten in eine Decke zu hüllen, und geht anschließend mit der Scheibe Fleisch in der Hand weiter. Ophelias Liebesgeschenke an Hamlet bestehen aus einigen Rollen Luftschlangen und einer Gummiente, die als Wappentier und komisches Symbol in Form eines running gags immer wieder auftritt. Zum hochkarätigen Falken reicht es in dieser Familie nicht.

Hamlet Goes Business wurde auch eine Hommage an John Hustons Gangsterfilme. In Schwarzweißbildern, deren Licht und Schattenspiele die bedrohliche Atmosphäre der „Schwarzen Serie“ wiederbeleben, erzählt Kaurismäki die Geschichte der Gangster und ihrer bürgerlichen Hintermänner konsequent zu Ende: Deren Verstrickung miteinander hat nur eine mögliche Fortsetzung, die Verschmelzung. Die Bürger sind hier selbst die Gangster. Wie schon im Malteser Falken gibt es auch in Kaurismäkis Hamlet keine Guten und Bösen mehr, nur noch Vertreter ihrer Interessen. Das, so spielt es Kaurismäki zu Ende, verlangt konsequenterweise die Eliminierung aller anderen Interessenvertreter. Solange noch jemand ist, ist auch der Sieger bedroht.

Kaurismäki hält sich, mit Ausnahme des Endes, an die Shakespearsche Geschichte. Er versetzt das Drama der dänischen Königsfamilie in das Ambiente eines finnischen Familienbetriebs der Industrie, die Räume atmen den Muff der fünfziger Jahre. Aber Hamlet ist nicht der Melancholie verfallen, sondern spielt sie nur, er ist nicht Opfer, sondern dreht kalt das Räderwerk der tödlichen Intrigen. Der Regisseur treibt mit Shakespeare seine Scherze: Das Machtstreben des Claudius/Klaus zielt auf die industrielle Produktion von Gummienten, statt vergifteter Speerspitzen gibt es in diesem Spiel giftspritzende Gummienten, und Laertes wird mit einem Radiogerät erschlagen. Und trotzdem ist der Film weder seicht noch lustig - sardonisch aber, kunstvoll und düster.

Gunter Göckenjan