Bogart, Film, Amerika

■ Ein Gespräch mit Lauren Bacall

taz: Am Anfang Ihrer Karriere stand der vielleicht professionellste Regisseur Hollywoods, Howard Hawks. Was bedeutete das für ein junges, unerfahrenes Fotomodell, das einen ersten Film macht?

Lauren Bacall: Howard Hawks hat mein Leben verändert. Mit seiner Hilfe fing meine Karriere überhaupt erst an. Und er verschaffte mir meinen ersten Ehemann. Das ist doch auch nicht schlecht, oder? Howard hatte den Ehrgeiz, aus unbekannten Mädchen Stars zu machen, und ich war die Erste, mit der er dabei wirklich Erfolg hatte. Er liebte es, mit Frauen zu arbeiten und war berühmt dafür, daß die Frauenrollen in seinen Filmen ganz außergewöhnlich waren. Deshalb war es zu Anfang mein großes Glück, bei ihm unter Exklusivvertrag zu sein: Er paßte auf mich auf... Wenn ich heute „To have and have not“ im Fernsehen sehe, muß ich immer wieder daran denken, daß ich bei den Dreharbeiten ein nervliches Wrack war: eine zwanzigjährige Idiotin, ein junges Ding, das von nichts eine Ahnung hatte.

Warum haben Sie nach diesem Film und „The Big Sleep“ nie wieder mit Hawks zusammengearbeitet?

Hawks war wütend, weil ich Bogart heiratete. Wenn ich das nicht getan hätte, wäre meine Karriere ganz anders verlaufen. Hawks hätte die völlige Kontrolle darüber ausgeübt und mich davon abgehalten, in vielen miserablen Filmen mitzuspielen. Gleich für den nächsten Film, „Confidential Agent“, bekam ich ganz furchtbare Kritiken. Die nächsten zwanzig Jahre mußte ich damit verbringen zu beweisen, daß ich wirklich Talent besaß. Und ich glaube nicht, daß ich wirklich alle überzeugt habe! (lacht schallend) - Die Presse hat mich immer sehr eingeschüchtert. Jetzt nicht mehr, heute ist es mir egal, was geschrieben wird.

Gibt es heutzutage Regisseure, die so intensiv mit Schauspielerinnen arbeiten wie Hawks, gibt es interessante Rollen?

Einen zweiten Hawks oder George Cukor gibt es jedenfalls nicht. Es gibt so furchtbar wenig interessante Rollen für Frauen, selbst für Schauspielerinnen wie Jessica Lange, die auf der Höhe ihrer Karriere stehen. Vielleicht bekommen wir wieder mal eine Chance. Derzeit scheint sich das Interesse hauptsächlich auf den männlichen Teil der Bevölkerung zu konzentrieren! (lacht)

Viele Schauspielerinnen haben deshalb heutzuutage ihre eigenen Produktionsfirmen, auch Borgart besaß seinerzeit „Santana“. Haben Sie selbst nie daran gedacht, Ihre eigenen Filme mitzuproduzieren?

Wenn Sie jemanden kennen, der mir das Geld dazu verschafft! (lacht) Nein, um ehrlich zu sein, habe ich nie daran gedacht. Ich glaube auch, daß ein Schauspieler nicht zuviel Kontrolle über einen Film haben sollte.

Im letzten Jahr haben Sie an einem Dokumentarfilm über Bogart mitgearbeitet, früher haben Sie solche Angebote abgelehnt. Weshalb?

Ich war dagegen, weil die Produzenten nur mit dem Namen Bogart Geld verdienen wollten. Das konnte ich nicht ertragen. Vor einem Jahr habe ich mich entschlossen, an einer Fernsehdokumentation mitzuwirken, und zwar aus mehreren Gründen. Ich hatte nicht ganz soviel Kontrolle darüber, wie ich es mir gewünscht hätte, aber der Film war für das öffentliche Fernsehen, und die machen solche Dinge immer besser als die privaten Fernsehsender. Mir ging es in erster Linie darum, daß der Film sich auf Bogarts Schauspielerkarriere konzentrierte. Denn er war stolz darauf, ein Schauspieler zu sein. Er hatte eine sehr gute Ausbildung im Theater bekommen, und ich wollte diese Dinge betonen.

Die einzige Kritik, die ich dann für den Film bekam, hieß schließlich auch: er verschweige das Nachtleben Bogarts, seine Trinkgelage und seine Streifzüge durch Nachtclubs etc. Aber mir war wichtig, daß der Film vom Schauspieler Bogart handelte, nicht vom Privatmenschen.

Ich glaube, der Film wurde von dem berüchtigten Ted Turner coproduziert?

Ja, er mußte mit „Ted Turner Enterprises“ gedreht werden, weil die Rechte für die Filme bei ihnen lagen. Turner wollte uns die Filmausschnitte nur überlassen, wenn er als einer der Produzenten genannt würde.

Wie stehen Sie zu Turner, der mit der Nachkolorierung von Schwarzweißfilmen so viel Geld verdient?

Nun, ich kenne ihn nicht persönlich, ich weiß nicht, was für ein Mensch er ist. Für die Kolorierung könnte ich ihn natürlich umbringen. Andererseits hat er auch gute Dinge beim Fernsehen im Ganzen gebracht. Die ganze Szene ist sowieso sehr zwiespältig - gerade vor kurzem habe ich einen Fernsehfilm für sein Network gemacht, ein Remake des alten George-Cukor-Films „Dinner at eight“.

Was empfinden Sie, wenn Sie sich in einem Film sehen, der nachkoloriert wurde?

Ich finde, die ganze Nachkolorierung ist eine Katastrophe, es gibt nicht den geringsten Grund, die Filme zu kolorieren. Haben Sie schon einmal einen solchen Film gesehen:? Die Farben sind eine Katastrophe, jedes Gesicht sieht gleich aus, die Hauttöne bekommen sie überhaupt nicht hin. In „The Big Sleep“ tragt Bogie während des ganzen Films grüne Anzüge. Grüne Anzüge! Meine Kleider haben Farben, die ich nie getragen habe und nie tragen würde! - Bei all dem geht es natürlich nur ums Geld. Ich weiß aber nicht, was sich die Leute bei Turner Enterprises davon versprechen: Fragen Sie irgendeinen jungen Menschen, und er wird Ihnen sagen, daß er den Film in s/w vorziehen würde.

Weshalb hält Bogarts Ruhm heute noch an? Identifiziert man seine Rollen mit seinem Charakter?

Daß er immer noch so berühmt ist, hängt sicher auch damit zusammen, daß er noch ein junger Mann war, als er starb: das Publikum sah ihn nicht altern. Aber vor allen Dingen liegt es daran, daß er den Eindruck einer inneren Stärke vermitteln konnte, die er wirklich besaß. Sein persönliches Wesen schlug sich in seinen Rollen nieder. Er war beispielsweise kein Mann, den man kaufen konnte, weder im Leben noch in den Filmen. Wieviele solcher Menschen trifft man im Leben? Bogart war so, wie jeder gern sein möchte, und deshalb können sich junge Menschen so gut mit ihm identifizieren.

Er war ungewöhnlich. Er besaß eine ungeheure Stärke, er war ein Kämpfer, und er wußte genau, was er wollte. Auch wenn er dem Leben reichlich zynisch gegenüberstand. Ich glaube, nur sein Charakter ermöglichte es ihm, so lange im Filmgeschäft zu überleben. Was immer er mir beibrachte - und das war eine ganze Menge! - machte es mir möglich, miserable Zeiten zu überstehen. Natürlich konnte er mich rasend machen, wenn er sagte: „Du wirst noch an meine Worte denken.“ Aber er hatte recht. Niemand, abgesehen von meiner Mutter, beeinflußte mich so sehr wie er. Und ich habe das Gefühl, großes Glück gehabt zu haben. Das einzige Problem bei all den Dingen, für die Bogart stand und die sich in mein Gehirn eingegraben haben, ist, daß er Maßstäbe gesetzt hat, denen man höllisch schwer gerecht werden kann. Mein Streben nach höheren Maßstäben kommt mir seither immmer in die Quere.

Welche Ihrer Filme - einmal ausgenommen diejenigen, die Sie zusammen mit Bogart gemacht haben - sind Ihnen die liebsten?

„Designing Woman“ von Vincente Minnelli, „Murder on the Orient Express“. Ich habe in einer Menge von Filmen mitgespielt, die alles andere als wunderbar waren! - „How to marry a millionnaire“ mochte ich, genauso wie einen anderen Film, den Jean Neguleso mit mir gedreht hat, „Woman's World“. Aus den letzten Jahren fällt mir noch „The Fan“ ein, aber der hätte besser sein können, wenn ich es mir recht überlege. Alle Filme hätten besser sein können, wenn ich es recht überlege. (lacht schallend)

„Written on the Wind“ von Douglas Sirk, der in Europa ein Kulturklassiker geworden ist, zählt nicht zu Ihren Lieblingsfilmen?

„Written on the Wind“? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Ich verstehe nicht, wie irgendjemand diesen Film für einen Klassiker halten kann! Beim besten Willen nicht! Das ist wirklich ein lausiger Film, eine soap opera. Ich sehe Ihn einfach als das, was er war: sehr kommerziell. Er erfüllte seinen Zweck, an den Kinokassen jedenfalls. Rock Hudson und ich machten uns immer über die Dialoge lustig: (mit ungeheurem Pathos) „What a woman says to a man and what a man says to a woman, must be written on the wind.“ (lacht laut) Das reicht Ihnen doch wohl, oder?

In Ihren Filmen haben Sie das Image der „modernen Frau“. Wie kam es, daß Sie später einen Western mit John Wayne gedreht haben, „The Shootist“?

Ich habe zwei Western gedreht: in den 50er Jahren habe ich in „Bright Leaf“ neben Gary Cooper gespielt. Aber ich sehe, worauf Sie hinauswollen, und ich gebe Ihnen recht: Ich passe nicht sehr gut in diese Epoche, in Kostümfilme passe ich grundsätzlich nicht. Mein Kleidungsstil, das war derjenige, den Hawks, die berühmten Kostümbildner Orry-Kelly und ich ganz zu Anfang meiner Karriere erfunden haben.

Haben Sie in „The Shootist“ mitgespielt, weil er eine Art Schwanengesang auf den Western war?

Ich habe den Film gemacht, weil John Wayne mitspielte. Ich hatte schon früher mit ihm zusammen gespielt und das sehr genossen. Und ich habe die Rolle angenommen, weil sie zu der Art von Rolle gehörte, die mir sonst nie angeboten wird. Ich glaube nicht, daß ich besonders gut war, aber der Film war gut, vor allem natürlich John Wayne. Er war einfach großartig. Und denken Sie an die Geschichte des Films: es geht um einen sterbenden Mann, und er war ein sterbender Mann. Wie hätte ich da nein sagen können?

Eins der Bilder, das ich - neben Ihren Filmen - am stärksten im Gedächtnis habe, zeigt Sie neben Bogart und Gene Kelly bei den Verhören zur Zeit der „Schwarzen Liste“.

Unser Engagement war damals sehr wichtig. Wir verstanden die politische Szenerie nicht wirklich: wie man in Washington auf unser Kommen reagieren würde, wie die Presse reagieren würde. Aber unsere Instinkte waren richtig: J.Parnell Thomas und das „Komitee gegen antiamerikanische Umtriebe“ waren eine einzige Katastrophe. Die ganze Zeit war ein Alptraum. Wir protestierten aus emotionalen Gründen.

Wir hatten den Eindruck, daß niemand vor dem Komitee eine faires Verhör bekam, sie wurden alle automatisch verurteilt. Man ließ einfach niemanden ausreden, der Vorsitzende schlug alle 20 Sekunden mit seinem Hammer auf den Tisch und schnitt jedem das Wort ab. Bogie, Gene und mir ging es nicht um den Kommunismus, uns ging es um die Redefreiheit. Das war eine schlechte Zeit für Amerika.

Der Demokrat Adlai Stevenson spielt in Ihrer Autobiographie eine wichtige Rolle. Welche Bedeutung hatte er in den fünfziger Jahren?

Es gab etwas an ihm, das uns alle inspirierte. Außer Stevenson gab es damals niemanden, der bestimmte Dinge laut sagte. Er war mutig und sagte wirklich, was er dachte. Er veränderte das Denken vieler Menschen; er öffnete einem Türen im Kopf und ließ einen Dinge glauben, die man vorher nicht für möglich gehalten hatte. Das ist in der Politik reichlich ungewöhnlich. Die Mittelmäßigkeit hat sich so breit gemacht, daß man erschrecken muß. Heute ist die Situation nicht gerade ermutigend, denken Sie nur an George Bush. Seine Wahlkampagne war schockierend und geradezu empörend, sie sollte den niedrigsten gemeinsamen Nenner im Land ansprechen. Er wickelte sich in die Flagge ein, wenn er auftrat, lauter solche Dinge. So etwas hatten wir acht Jahre lang, und es wird nicht besser. Er ist als Präsident eine Katastrophe, er bezieht zu nichts eine deutliche Stellung und ändert seine Meinung aufgund von Umfragen.

Wer war Ihrer Meinung nach der letzte Präsident, der o.k. war?

Liegt Roosevelt für Sie zu lange zurück? (lacht) Truman war gut, den habe ich geliebt, weil er Mumm hatte. Er sagte, was er dachte und hatte vor nichts Angst. Jack Kennedy war nicht lange genug im Amt, als daß er wirklich etwas hätte erreichen können. Aber Roosevelt! Er war eine so lange Zeit jedermanns Gott: der geistreichste und brillanteste Mann, den man sich vorstellen konnte. Er war fast eine Vaterfigur für mich. Mit Lauren Bacal

sprach am 10.9.89 in Deauville (Frankreich) Gerd Midding.