Mord wurde Alltag in Kolumbien

Als einer von Tausenden wurde letzte Woche der Kommunist Santamaria umgebracht - im bestbewachten Gebäude Kolumbiens / Anstelle von Grauen oft Resignation  ■  Aus Bogota Ciro Krauthausen

Die Gewalt in Kolumbien macht zynisch. Die täglichen Morde, über 10.000 waren es nach vorsichtigen Schätzungen allein 1988, werden zumeist nur noch mit einem leichten Achselzucken quittiert: wieder ein Mensch, der an dem herumschwirrenden Blei verstarb. Nur noch selten spürt man Grauen über zuviel Tote, zuwenig Auswege. Vor einer Woche wurde in seinem Büro in der Zweimillionenstadt Medellin der Kommunist Gabriel Jaime Santamaria, Präsident der Linken Union Patriotica in der Provinz Antioquia, ermordet. Der Ingenieur Santamaria war zweiter Vizepräsident des Provinzparlaments des krisengeschüttelten Antioquia. Der Mörder - möglicherweise einer seiner Leibwächter - konnte ihn in einem der bestbewachten Gebäude Kolumbiens, dem Verwaltungskomplex Medellins, erschießen.

Es war unerträglich heiß im März 1988 in der Bananenanbauregion Uraba im Nordwesten des Landes. Nirgendwo anders in Kolumbien ist die Gewalt so heftig, werden so viele Menschen von rechten oder linken Killertrupps niedergemäht. Santamaria, zu Besuch in der Kleinstadt Apartado, saß abends mit bloßem Oberkörper und kurzen Hosen in der Wohnung des inzwischen im Exil lebenden Bürgermeisters Ramon Castillo. Schön wäre es gewesen hinauszugehen, ein Bier zu trinken und das Tanzbein zu schwingen. Statt dessen blieben wir in der engen Wohnung sitzen und tranken eiskalte Cola: Abends auf die Straße zu gehen ist für bedrohte PolitikerInnen zu gefährlich. „Schaut ihn euch an“, sagte der Bürgermeister mit schwarzem Humor: „Um ein Haar wäre der da hopsgegangen.“ Und der schnauzbärtige Santamaria zeigte seine vernarbten Wunden von einem Attentat 1987, bei dem er nur knapp überlebte. Weiterhin Politik zu machen schien aussichtslos - für Santamaria gab es dennoch keine andere Alternative. Zwei sicher erst 18jährige Leibwächter saßen im Schneidersitz auf dem Boden und hielten ihre Maschinengewehre fest. In ihren jungen Gesichtern schien sich Ehrfurcht zu spiegeln vor den Männern, für die sie vielleicht sterben müßten (kotz!, d.K.). Ein liebenswürdiger Mann, dieser Santamaria. Wie gerne er seine zwei Töchter besuchen würde, schwärmte er. Familienleben aber sei gefährlich: Wenn überhaupt, so sei ihm geraten worden, dann nur unangekündigte und kurze Besuche. „Alles, nur das nicht“, sagte Santamaria in der Hitze Apartados: So oft wie möglich würde er allen guten Ratschlägen zum Trotz Frau und Kinder heimlich aufsuchen.

18 Monate danach sind fast alle der damaligen Gesprächspartner - Gewerkschafter, Politiker und Plantagenbesitzer - tot. Auch Gabriel Jaime Santamaria. Wer ermordete ihn? Militärs, Plantagenbesitzer, Drogenmafiosi? Warum? Wieviel Geld wurde dem Mörder für seine Tat versprochen? Was wollte er mit diesem Geld machen? Bilder der Beerdigung Santamarias am Montag: eine Fahne der linken Union Patriotica, von der schon 800 oder 900 Mitglieder - so genau weiß das keiner - ermordet wurden, ein Proteststreik der Lehrer der Provinz Antioquia, trauernde Gesichter Bilder, die zur Routine geworden sind.