Ein bißchen mehr Minimum

Die Bush-Administration und der US-Kongreß einigen sich auf faulen Kompromiß zur ersten Anhebung des Mindeststundenlohns seit 1981 von 3 Dollar 35 auf 3 Dollar 80  ■  Aus Washington Rolf Paasch

Just zum Ende der me-decade (Tom Wolfe), dem „Jahrzehnt der Eigensucht“, ist in den USA nun eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns vereinbart worden. Nach monatelangem Hin und Her haben sich am Dienstag der Kongreß und das Weiße Haus auf eine Anhebung des derzeit bei 3 Dollar 35 (6 Mark 50) liegenden Mindeststundenlohns auf 3 Dollar 80 für 1990 und 4 Dollar 25 für 1991 geeinigt. Zuvor hatte Präsident George Bush - das ist der Mann, der in seinem Wahlkampf ein „freundlicheres und sanfteres Amerika“ versprochen hatte - die von den Demokraten vorgeschlagene Anhebung des Mindeslohns auf 4 Dollar 55 abgelehnt. Und auch dem jetzt erzielten Kompromiß haben seine Republikaner nur deswegen zugestimmt, weil die von ihnen anvisierte Senkung der Kapitalertragssteuer sonst den Wählern allzu unverschämt erscheinen würde. Seit 1981 wurde der Mindestslohn, den Franklin D. Roosevelt eingeführt hatte, nicht mehr erhöht, obwohl seither die Preise um 33 Prozent angestiegen sind. Die 14 Millionen BezieherInnen des gesetzlichen Mindestlohns können auch in den 90er Jahren nicht mehr und nicht weniger für einen Stundenlohn kaufen als zu Beginn der Reagan-Ära: ein Six-pack halbwegs trinkbaren Bieres. Und der neue Kompromiß hat noch einen Haken. Erkauft wurde er nämlich mit der Reduzierung des sogenannten „Ausbildungslohns“, den 16 bis 19jährige Auszubildende in den ersten sechs Monaten ihres Arbeitsverhältnisses erhalten. Damit hat die amerikanische Arbeiterbewegung die Schlacht um den bereits von der Nixon-Administration in den 70er Jahren vorgeschlagenen Sub-Mindestlohn für Teenager nun endgültig verloren.

Zur Linderung der Armut, so Kritiker, dürfte auch die minimale Anhebung des Minimums kaum beitragen. Denn während die Angestellten in den Supermärkten, Waschsalons, Gaststätten und Tankstellen Amerikas nun etwas besser gestellt sind, wird die Anhebung des Mindestlohns drei Vierteln der AmerikanerInnen, die unter der offiziellen Armutsgrenze leben, eher schaden als nützen. All diejenigen, die als Selbständige, Arbeitslose oder „Illegale“ keine gesetzliches Recht auf den Mindestlohn haben, werden die Kosten seiner Anhebung über die sich anschließenden Preissteigerungen zumindest „mitfinanzieren“ müssen. Was sie nach Berechnungen des „Progressive Policy Institutes“ in Washington mittelfristig rund zwei Prozent ihres Einkommens kosten wird. All dies ändert jedoch nichts an der Selbstgefälligkeit, mit der der neue Kompromiß in Washingtoner Politzirkeln gefeiert wird. „Bei diesem Thema“, so der Führer der Republikaner im Senat, Robert Dole, „konnten wir ja nun wirklich nicht eine Anhebung des Mindestlohns um 30 bis 40 Cents blockieren, wenn wir zur gleichen Zeit über Steuererleichterungen reden.“ Die geplante Senkung der Kapitalertragssteuer wird in erster Linie den AmerikanerInnen mit einem „Mindestjahreseinkommen“ von umgerechnet 200.000 Mark zugute kommen.