Ausbruch aus der Doppelzüngigkeit

■ Reform in der Volksbildung / Staatsbürgerkundelehrer sollen frei sein / Relegierte Schüler sind rehabilitiert

Berlin (taz) - Die Frage nach der „Doppelzüngigkeit“ sei die „schmerzhafteste“, erklärte am Dienstag der Dresdener Bezirksschulrat Prof. Manfred Hasler. Nach einer Konferenz der Bezirksschulräte mit der „Leitung des Ministeriums“ in Ost-Berlin meinte er: Man könne Tausenden von Lehrern nicht den Vorwurf machen, sie hätten „bewußt ihre Schüler zur Doppelzüngigkeit erzogen.“

Das Thema Volksbildung rückt mehr und mehr ins Zentrum der Reformdebatte und die Verantwortlichen stehen unter dem Druck der Straße - nicht zufällig für die Erziehungsdiktatur DDR. Auf der Leipziger Montagsdemonstration häuften sich die Transparente zur Schulreform. Insbesondere Lehrer- und Schülergruppen traten auf. Viele Schüler hatten offenbar eigene Transparente gemalt.

Erste Umgestaltungen sind beschlossen worden: die Staatsbürgerkunde, Hauptübung in Doppelzüngigkeit, soll jetzt in der Verantwortung der Lehrer liegen. Der stellvertretende Volksbildungsminister Günther Fuchs erklärte, „der Staatsbürgerkundelehrer sollte jetzt selbst entscheiden, welche Einheiten er nicht behandelt.“ Grundsätzlich heißt es in einer „Wortmeldung der Leitung des Ministeriums“, daß die Ergebnisse des 9. Pädagogischen Kongresses vom Frühjahr „nun noch mal geprüft werden.“ Wie stark die Volksbildung gegenwärtig in der Defensive ist, zeigt die seit zwei Wochen ständig gebrauchte Formel, wonach nicht „alle in unserer Zeit des Umbruchs ungelösten Probleme der Schule anzulasten“ seien. Insbesondere wehrt sich die Schule gegen den Vorwurf, allein an der Fluchtwelle allein schuld zu sein.

Weiterhin wird die Fünf-Tage-Woche für die Schulen versprochen. Die Forderung nach der Fünf-Tage-Woche und auch nach einer gleitenden Ferienregelung werden seit Jahren erhoben. Margot Honecker hatte sie immer mit dem schlichten Hinweis, daß die DDR nicht die BRD kopiere, abgeblockt. Die zentrale Ferienregelung ist eine schwere Belastung für die DDR-Wirtschaft. Die Forderung auf der letzten Demonstration von Leipzig - „Freistellung von Margot Honecker zur Pflege ihres Mannes“ - ist praktisch schon erfüllt, wenn auch noch icht offiziell bestätigt. Mit der Bekanntgabe der Ablösung von Margot Honecker, die seit 1963 das Amt verwaltet, wird gerechnet. Als Nachfolgerin ist Helga Labs (49), zur Zeit Vorstandsvorsitzende der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung, im Gespräch.

Sichtbarstes Zeichen einer Korrektur: die vier Schüler der Ost-Berliner Carl-von-Ossietzky-Oberschule, die am 10.Oktober 1988 relegiert worden waren, können jetzt auf Wunsch ihre Ausbildung fortsetzen. Sie hatten öffentlich erklärt, daß Militärparaden zum DDR-Jubiläum nicht mehr zeitgemäß seien. Zu ihrer Relegierung hatte ihr Mitschüler Karsten Krenz, Sohn von Egon Krenz, beigetragen.

KH