Kunstlicht / KunstKONSUM mit Speisung: DaDADA ist Schwitters

■ Neuigkeiten aus den Bremer Ateliers Hess und Rothermel, dem Landgericht und aus Delmenhorst sowie von einer Rembrandt-Reinkarnatioon

KunstKONSUM mit Speisung: DaDaDa ist Schwitters

Neuigkeiten aus den Bremer Ateliers Hess und Rothermel, dem Landgericht und aus Delmenhorst sowie von einer Rembrandt -Reinkarnation

Gute Ware feil! Schöne Ware feil! Dumping-Preise beim Winterschlußverkauf! (Und die Musik spielt dazu, „funktionelle Musik“ vom Endlosband nach den Gesetzen der KONSUMpsychologie.) Dagmar Hess und Anna Wolpert, die letzten der „Neuen Naiven“, verramschen ihre Kunst der verflossenen Jahre, machen „Discount“, schreien „Encounter“ und raunen „Blendwerk“. Und siehe: Es öffnet sich ein BAUCHladen, er entläßt Myriaden unglücklicher Embryonen; aufgeblasene Symbole, Blasphemien, abstruse Butterdosen, Ameisen, Fingernägel. Und Würstchen (im Schlafrock, in Gehgips, zartest verziert von liebender Damenhand). Und alles, alles quasi zum Selbstkostenpreis abzugeben, da kann man mit wenigen Zehnern dabei sein. Zum KONSUM umgebaut ist Frau Hess‘ Atelier Auf den Kuhlen 31, dem Fundamt gegenüber. Die Papierbilder hängen auf der Wäscheleine. (auch am Wochenende offen! von 15 - 19 Uhr)

Der weitverbreiteten Meinung, daß Delmenhorst von Bremen weiter entfernt sei als Bremen von Delmenhorst, muß, nach Überprüfung, entgegengetreten werden. Der Irrtum beruht auf metropoler Hybris. Was ebenfalls kaum jemand weiß: Im DEL stehen die Zeichen auf Aufbruch! Ein Techno-Park, ein (entstehendes) Technikmuseum und eine neue Leitung in der Städtischen Galerie - Haus Coburg. Neuen Wind bringt die Bremer Kunst-und Literaturexpertin Barbara Alms ins beschauliche Haus Coburg, eine ehemalige Arztvilla im englischen Landhausstil mit Hof und Remise in Bahnhofsnähe. Im Moment präsentiert sie mit den Kleinplastiken des Bremer Bildhauers Gerhart Schreiter (Markenzeichen: fragile Fahrräder mit klobigen Nutzern) und einer lokalhistorischen Fotoansammlung leicht gequält „Erbstücke“ ihres Amtsvorgängers. Für November kündigt sie Vitaleres an: Junge Delmenhorster Künstler dürfen sich im Hause austoben und „ihre“ Räume inszenieren. Danach wird renoviert. Das Projekt - eine Delmenhorster Besonderheit - heißt „Kultursommer im Winter“. (Fischstraße 30, Ecke Friedrich-Ebert-Allee, Mo. -Fr., 15-19 Uhr, So. 11-17 Uhr)

Eine Art Salon? Ein Art-Salon? Art-saloon? Oder einfach „Kultureller Abend“? Tilman Rothermel hatte in sein Atelier geladen zum ungewöhnlichen Montagabend und einem ungewöhnlichen Fest für drei Sinne und 1 Kilometer Computerpapier. Mike Schweizer und Wolfgang Fernoh, Freiburger, traktierten Contrabaß und Saxophone nach dem Rothermelschen No tenbild, eilig auf vorbeilaufendes Computerpapier geworfen. Oder war es umgekehrt, unter Führung des Bläsers? Das Essen war auch nicht von schlechten Eltern, der Faßwein rundete den erweiterten Kulturbegriff angenehm ab. (Nächster „Kultureller Abend“ am 17.12.: Fiesta, mexikanisch)

Worüber lachen Richter und Staatsanwalt in der Verhandlungspause am Landgericht? Über sich selbst, die Fehler, die Schwächen und den Wurm in der Justiz. Anlaß dazu geben die Zeichnungen und Karikaturen von Philipp Heinisch, die seit gestern in den Angstschweißgängen des Gerichtsgebäudes (Domsheide 16) und im Presseclub (Schnoor 27-28) hängen. „Justizlandschaften“ betitelte man die spitzfedrigen Gemeinheiten wider das eigene Glashaus, denn Heinisch war lange Zeit Strafverteidiger, ehe ihn die Musen küßten, und noch immer schlägt er sich mit dem nichtendenden Schmücker-Prozeß herum, in dem er verteidigt („juristische Altlast“). Angesichts der Grenzen des Arguments sieht Heinisch in der Karikatur die Möglichkeit, „anstößig“ zu sein. Sein „Paragraphendschungel“ mit jodelndem Robentarzan an Paragraphenliane; seine Schneekugel „Grüße vom Gericht“: rieselnde Paragraphen erschlagen den Angeklagten; oder das an uralte Belegschaftsfotos erinnernde „Gruppenfoto“: Das Gericht hat sich unter Zellenfenstern aufgebaut, um ein 15 -Jahre-Urteil gruppiert - ein hervorragender Zeichner, der Heinisch, den es leider zur Farbe drängt, was man ihm ausreden sollte. (bis Ende November, Presseclub Mo bis Fr 11 - 15 und 18 - 24 Uhr, Landgericht 8-16 Uhr, Fr. 8-15 Uhr).

Eine Reinkarnation Rembrandts (Schwitters über Schwitters) und ihre „Merz-Zeichnungen“ und „i-Zeichnungen“: Ein dringender Tip für FreundInnen des Hannover-Dada ist dieser Tage das Graphische Kabinett/Kunsthandel Werner (Rembertistraße 1a, gegenüber Staatsarchiv), wo an die dreißig Schwitters-Bilder und - skulpturen zum Verkauf (ersatzweise zum Ansehen) hängen. Der Entdecker der „Ursonate“ („Un zee tee wee bee fümmmmms ...“), der in diesem Jahr 102 Jahre geworden wäre, hätte nicht vor 41 Jahren sein Herz versagt, stellt sich u.a. mit einem Schokoladenkasten, 233 Eiern und anderen, herzzerreißenden Collagen vor. Das MERZ-Prinzip, das Schwitters von der COMMERZ und PRIVATBANK geklaut hat, nutzt „Pelikanfarbe wie auch Müll“ und wurde 1923 anläßlich einer Ausstellung in Bremen vom Rezensenten mit dem Schimpf „Kunstgewerbe“ belegt. (bis 16. Dezember) Bu