Volkszählung 1987: Jetzt haben wir den Datensalat

■ Statistisches Landesamt lüftet erste Geheimnisse / Eins und Eins ist zwei, manchmal aber auch nicht / 60 Prozent der Bergarbeiter sind weiblich

Das Statistische Landesamt Bremen veröffentlichte in dieser Woche drei neue Berichte zur Volkszählung 1987. Sechzig engbedruckte DIN A4 Seiten führen durch ein Zahlendickicht, aus dem sich die Notwendigkeit der Erhebung - wie sie vor zwei Jahren von Behördenseite formuliert worden war - nur schwer ablesen läßt.

660.084 BewohnerInnen zählte das Land Bremen am Stichtag 25.5.1987. Zur Vergleichszahl von 1970 (722.718) ergibt sich eine Differenz von gut 62.000 Menschen. Auf den ersten Blick riecht das nach heftigen Einbußen für den Finanzsenator. Die Beträge aus dem Länderfi

nanzausgleich berechnen sich nämlich nach der Bevölkerungszahl des Bundeslands. Aber nur auf den ersten Blick: Man muß nämlich wissen, daß sich seit 1980 die statistische Größe „Bevölkerung“ anders definiert als 1970, und deshalb hat Senator Grobecker Grund zum Jubeln: Nach Angaben von Jürgen Dinse vom Statistischen Landesamt bekommt Bremen 30 bis 35 Millionen Mark mehr aus dem Bundestopf als ursprünglich vorausberechnet war. Aus einem Bevölkerungsschwund von 62.000 wird durch Statistik ein Bevölkerungszuwachs von 6.000,

Unabhängig von der neuen Definition von „Bevölkerung“ hat

ten die Statistiker für den Länderfinanzausgleich in der sogenannten Fortschreibung eine Einwohnerzahl um 654.000 errechnet. Die Fortschreibung berücksichtigt die zu erwartenden Fort- und Zuzüge sowie die Geburten und Sterbefälle: Gegenüber der tatsächlichen Zahl ergibt sich eine Fehlerquote von einem Prozent, eine verschwindend kleine Abweichung.

Die Logik der Statistiker spekuliert mit dem sozialen Elend der Hansestadt: Gut, daß es den BremerInnen so schlecht geht. Im Punkt Arbeitslosigkeit beispielsweise hat die Volkszählung am Stichtag 39.863 „Erwerbslose“ gezählt. Da geht das Herz des Sta

tistikers erst richtig auf. Anhand der Volkszählungsdaten werden nämlich in Nürnberg die ABM-Mittel verteilt: Je mehr „Erwerbslose“, desto mehr ABM-Geld. Aber auch dafür hätte es einer eigenen Zählung nicht bedurft: Das Arbeitsamt führt seit Jahr und Tag seine eigenen Statistiken.

Die Statistik des Landsamtes weist für 322.317 Haushalte einen Wohnungsbestand von 325.437 Wohnungen aus. Das bedeutet 3.000 leerstehende Wohnungen am Stichtag. Die aktuelle Wohnungsnot hat in Bremen die Statistik schon widerlegt, bevor sie veröffentlicht worden sind. Wurden in den Jahren 1969

1979 von 52.389 Wohnungen 20.276 öffentlich gefördert, so waren es in den letzten zehn Jahren von 22.626 nur noch 4.699.

Ein weiterer Blick in die Statistik weist aus, daß es noch etliche Berufe gibt, in denen Frauen nur vereinzelt tätig sind: Metallerzeugung- und Bearbeitung (5,4 Prozent), Baugewerbe (10,2), Energie- und Wasser, Elektrizitätsversorgung (24,9). Hier führt die Statistik minutiös die Betriebe nach Größe und Beschäftigungsstruktur auf. Wie weit die ArbeitnehmerInnen fahren müssen, um ihren Monatslohn zu erwirtschaften, steht nirgends. Gerade das aber sollte 1987 ermittelt werden, um mit einer entsprechenden Infrastruktur den konkreten Bedürfnissen entgegenzukommen.

Wer kennt sie nicht, die Schaubilder zur Bevölkerungsstruktur: Was man früher leichtfertig eine „Bevölkerungspyramide“ zu nennen gewohnt war, hat mittlerweile eher die schematische Form eines Tannenbaumes angenommen. Das Statistische Landesamt präsentiert gleich zwei demographische Tannenbäume zur Vorweihnachtszeit. In einem werden die Familienstände der BremerInnen ermittelt, im anderen die „Beteiligung am Erwerbsleben“. Darauf kann man zum Beispiel erkennen, daß Männer immer noch früher sterben als Frauen, und daß Kinder bis zum fünfzehnten Lebensjahr nur selten heiraten, daß die Scheidungsrate bei 30jährigen höher liegt als bei 80jährigen und daß die Ledigen mit zu

nehmendem Alter abnehmen: Unter den 100jährigen sind sie nur noch eine kleine Randgruppe.

Zum zweiten: Die Jugendlichen tragen mit den 40- bis 50jährigen die Hauptlast der Arbeitslosigkeit. Und die Statistik kennt auch die Eisenharten: Erst im Alter von 75 Jahren ruht sich die Bremer Bevölkerung zu 100 Prozent vom Arbeitsleben aus.

Übrigens: Nach Angaben des Landesamtes sind 60 Prozent der im Bergbau Beschäftigten Frauen. Auflösung der Zahlenmystik: Nur zwei Betriebe mit insgesamt fünf Angestellten arbeiten in Bremen in dieser Branche. Drei der fünf sind Frauen.

Markus Daschner