Der unsichtbare Krieg in den Städten

■ Schüler, Jugendliche, Mitglieder der Jugendorganisation „Falken“, engagierte Antifas - die Opfer rechtsradikaler Jugendbanden / Wer nicht dem Feindbild entspricht, merkt auch oft nichts vom alltäglich ausgeübten Terror / Den „Falken“ reicht's jetzt

„Für jeden toten Linken eine Dose Bier“ - unmittelbar nachdem die 14jährige Katja am Ausgang des U-Bahnhofs Zwickauer Damm dieser Satz hinterhergerufen wird, fliegt ihr eine Bierflasche ins Genick. Dann geht alles sehr schnell. Eine Horde „Heavies“ umringt Katja und ihre zwei Jahre ältere Freundin Kata. Die beiden Mädchen werden geschlagen, zu Boden gerissen, getreten. Katja erleidet eine Nierenprellung. Berlin, Alltag, Ende der achtziger Jahre.

Alltag, nicht für alle und nicht überall in der Stadt. Für viele bleiben Neonazis, brutale rechte Rowdies, Schlägerbanden, völlig unsichtbar. Nur Kurzmeldungen in der Zeitung erinnern an sie. Der unsichtbare Krieg tobt nur in Teilen einzelner Bezirke. Und auch dort nur zwischen ganz bestimmten Akteuren. Feindbilder der gewalttätigen rechten Jugendlichen: Türken, andere Ausländer, Linke... und alle die irgendwie so aussehen. Freakig, anders, provozierend. Immer im Visier der rechten Rowdies: Die SPD -nahe Jugendorganisation „Sozialistische Jugend Deutschlands - Die Falken“ und andere antifaschistische (Jugend-)Gruppen. „Selber Schuld“ - sagen manche. Die Opfer tragen „Gegen Nazis„-Aufnäher. Sie treten aggressiv gegen die kleinste Spur einer bräunlichen Gesinnung auf. Sie provozieren. Aber dies ist gut so. Gebe es die alltägliche Auseinandersetzung auf den Schulhöfen, in Jugendheimen, vor Discos und in der U-Bahn nicht, bliebe trotz REP-Wahlerfolg das wirkliche Ausmaß - und die Tragweite - faschistoider, ansteckender Gesinnung in den Köpfen ganz normaler Jugendlicher allenfalls Stoff für Soziologen und Talkshows. Bloß: Die blutige Zeche zahlen immer wieder die Kids, die in ihrer Umgebung auf die braune Gefahr hinweisen.

Berlin ist nicht die Bronx. Aber unsichtbare Grenzen haben sich dennoch gebildet. Nach Kreuzberg 36 traut sich kaum ein Skin. Am Hermannplatz fühlen sich türkische Kids sicher, aber südöstlich des U-Bahnhofs Karl-Marx-Straße oder in Teilen des Weddings z.B., kann man sich abends mit Irofrisur oder „Gegen-Nazis„-Aufnäher nicht sicher fühlen. Der Neuköllner Schüler Tim, auf den beides zutrifft: „Das wird immer krasser. Viele finden es (Anm.: Tims Outfit) mutig würden es aber selber nicht machen.“ Tim macht's weiter, obwohl er schon zweimal brutal zusammengeschlagen wurde.

Ein Patentrezept haben auch die Falken, zu denen Tim gehört, nicht. Angriffe auf ihre Mitglieder, auf ihre Treffpunkte - zuletzt wurde im Wedding ein Bus der Organisation beschossen - Schmierereien und Pöbeleien gehören für sie zum Alltag. Zwar nicht so hilflos wie die Stellungnahmen mancher Politiker und der Polizei, aber auch nicht sehr hoffnungsvoll lesen sich die Thesenpapiere und Forderungskataloge der Falken. Einen Weg zurück in jene fast goldenen Siebziger - als der „Klassen-CDUler“ in der Schule noch das Rechteste war, was man kannte - wissen sie auch nicht. Frank Folger vom Neuköllner Kreisverband: „Es gibt Schulklassen, da ist ein Linker schon jemand, der links von der CDU steht - und damit auch schon ganz in der Minderheit. In der Nachbarklasse kann das aber schon wieder anders sein.“

Im Gegensatz zu anderen Gruppen sehen die Falken noch nicht die Gegengewalt als letzten Ausweg. Mit einer Reihe von kurz -, mittel- und langfristigen Forderungen und Maßnahmen haben die Neuköllner Falken ein Strategiepapier erstellt. Sie selbst als Gruppe wollen noch offener als Sozialisten auftreten, sich Zugang zum Schulunterricht verschaffen, andere Jugendliche aktivieren und in eine attraktive Gegenbewegung einbinden. Vom Staat erwarten sie zudem kurzfristig Gesetzesverschärfungen gegen den Aufruf zum Rassenhaß, wirkungsvollere erzieherische Strafen für jugendliche (Ersttäter-)Faschos (beispielsweise Arbeit in einer ausländischen Organisation in einer anderen Stadt), antifaschistische Schullehrpläne, die Abkehr von der überwiegend historisierenden Faschismus-Aufklärung in der Schule - und ein Verbot der REPs. Langfristig - und das klingt so hilflos wie die Politiker-Reden - wollen sie mehr Wohnraum, mehr Arbeitsplätze und bessere Bildungschancen. Wenn die Linke es nicht schafft, für Jugendliche wieder attraktiv zu werden, werden Tim und Katja, die Falken und die Antifas als hoffnungslos kleine Minderheiten im Meer der McDonald's- und Batman-Kids aber noch viel Dresche einstecken müssen.

tom