ALPTRAUMAUTOS

■ Ölkrisenkindertage und Mobilitätsterror, Einschienenbahnen und zugepollerte Innenstädte

Ölkrise 1974, Drittkläßler. Fasziniert von der leeren Autobahn am „autofreien Sonntag“, die autolose Dorfstraße eine 1a Rollschuhbahn. Mit dem Matchbox-Mini-Cooper in der Hand auf dem Zwergschulhof, finstere Zukunftsgedanken, ausgelöst durch die Lektüre von Jungens-Jahrbüchern, Science -fiction-Comics und den Wissenschaftsteil der 'HörZu‘. Wird es am 18. Geburtstag noch Autos geben? Vielleicht nur noch Hochgeschwindigkeits-Einschienenbahnen, Fußgängerzonen und perfekte Nahverkehrssysteme für die Vororte?

Christopherus sei Dank ist doch alles anders gekommen. In der Fahrschule dann gab es sogar einen Umweltschutzfragebogen aus Recyclingpapier, im Multiple -choice-Verfahren energiesparend fahren. Sparen? Benzinpreise von mehr als 1,50 Mark lagen länger zurück. Fahren. Auf jeden Fall fahren. Gerade am Anfang ist Praxis das wichtigste, mein Junge.

Eine Menge ist passiert seitdem. Dieses Land ist noch schöner zugerichtet für den individuellen Verkehr. Im Grünen wohnen, um dem Autoverkehr zu entrinnen. Also fahren. Zum Supermarkt fahren, weil da ein großer Parkplatz ist. Zum Tanken ein paar Kilometer weiter fahren, weil der Sprit dort billiger ist. Damit in der Innenstadt überhaupt noch Platz ist, Autos übereinander in eigenen Häusern gestapelt. Jeder Raum, auf den kein Blech soll, abgepollert. Die Fußgänger benutzen Brücken und Unterführungen, die Radfahrer sind auf den Bürgersteig verbannt. Mehr Betonstraßen erfordern mehr Betonlärmschutz bringen mehr Autos erfordern mehr Betonumgehungsstraßen.

Berlin. Jeder dritte hat ein Auto. Auf rund zwei Millionen Einwohner kommen 720.000 Pkws, Kombis und Kleinbusse. 215.000 davon rauschen werktags einmal über das Autobahndreieck am Funkturm, 100.000 verstopfen den Sachsendamm und 43.000 verpesten täglich die Kudamm-Luft. Jedes siebte Auto war war im Jahr 1988 in einen Unfall verwickelt. 14.313 Menschen verunglückten im selben Jahr im Straßenverkehr, davon wurden 12.318 leicht verletzt und 134 getötet. Am unwahrscheinlichsten sind Verkehrsunfälle in Zehlendorf (4.128) und am wahrscheinlichsten in Charlottenburg (15.154).

Wahnsinn. Oder besser: Alptraum. Alptraum Auto. So heißt eine Foto-Ausstellung, die noch bis zum 15. November im Rathaus Charlottenburg zu sehen ist, montags bis freitags von 10 bis 18 Uhr. Vom Tiermassenmord auf der Landstraße übers Betondorf bis zur Teststrecke, vom Gummiauto bis zum Autobahnkleeblatt ist dort unsere Automobilgesellschaft zu bewundern. Schnappschüsse vom Mobilitätsterror - auf schönen Farbabzügen, so wie die letzten Quelle-Urlaubsbilder mit Fettfleckschutz (weshalb sich der 32 Mark teure Katalog sogar lohnt).

kotte/diak