Hertie-Bombenleger: Menschen wie du und ich

■ Die Serie von Bombenanschlägem auf Hertie-Kaufhäuser ist aufgeklärt / Zwei von drei Tatverdächtigen wurden am Mittwoch nach Geständnis verhaftet / Springer-Presse ist entsetzt: ganz „normale“ Berliner / Zur Aufklärung trug vor allem belgische Polizei bei

Berlin (taz) - Mit den Springer-Zeitungen kann Berlin heute „aufatmen“. Grund: Die Serie von Bombenanschlägen auf Warenhäuser des Hertie-Konzerns, mit denen eine Geldsumme von über fünf Millionen Mark erpreßt werden sollte, ist aufgeklärt. Nach Redaktionsschluß der taz veranstaltete Polizeipräsident Scherz am Mittwoch abend eine Pressekonferenz, in der er bekanntgab, daß am Dienstag zwei verdächtige Männer festgenommen worden seien. Nach einem Komplizen der beiden wird noch gefahndet. Die Täter stammen nicht, wie vielfach in einschlägigen Zeitungen vermutet, aus dem Untergrund, sondern sind - zum Entsetzen derselben Blätter - eher mit der Bezeichnung „Menschen wie du und ich“ zu charakterisieren. Ein 38jähriger Besitzer einer Kreuzberger Fernsehwerkstatt und Videothek hat überraschend ein umfassendes Geständnis abgelegt und seinen 54jährigen Seniorchef als Mittäter bezeichnet. Gegen beide wurde Haftbefehl erlassen.

Wie Polizeipräsident Scherz betonte, sei der Fahndungserfolg zu einem großen Teil der belgischen Polizei zu verdanken. In Berlin war seit der Serie von Anschlägen im Sommer eine über hundertköpfige Sonderkommission der Polizei unter der Leitung von Manfred Ganschow damit beschäftigt, den Tätern auf die Spur zu kommen - mit nur mäßigem Erfolg. Man erinnere sich: Mitte September war eine Aktion der Berliner Polizei in Brüssel, die zur Geldübergabe führen sollte, kläglich gescheitert. Damals war mit den Erpressern vereinbart worden, das Geld in Nordfrankreich aus dem Zugfenster zu werfen. Der 38jährige Haupttäter wollte laut Geständnis am Brüsseler Gare du Midi mit den Geldboten Kontakt aufnehmen, diese waren fälschlicherweise schon am Gare Central ausgestiegen. Aufgrund eines Mißverständnisses wurde eine Großfahndung der belgischen Polizei ausgelöst. Der Täter geriet auch in diesen Einsatz und flüchtete zu seinen Komplizen, die im französischen St. Quentin auf den Zug aus Köln warteten und das Geld aufsammeln sollten.

Wie Ganschow mitteilte, wurden den Erpressern die belgischen Telefongesellschaften zum Verhängnis. Sie zeichnen über eine Zählervergleichsschaltung alle Gespräche auf. Die belgischen Ermittler fanden heraus, daß aus derselben Telefonzelle in Brüssel, mit der im September die Geldübergabeaktion durch einen Anruf nach Frankfurt eingeleitet worden war, nur eine knappe Minute vorher nach Berlin telefoniert worden war.

Im Nachhinein konnten die Nummern von Anrufer und Angerufenem identifiziert werden, und die Spur führte in die Fernsehwerkstatt in Kreuzberg. In der Wohnung des nun Verdächtigen wurde auch eine Quittung aus Brüssel vom Tag der Geldübergabe gefunden. Er scheint auch die Bomben hergestellt zu haben. Verwendet wurden flache Spritzgußkästen aus dem Antennenbau, die mit dem Sprengstoff TNT, einer selbstgebrauten Explosivmischung, gefüllt wurden. Die Spritzgußkästen stammen vermutlich von einem Schrotthändler in Neukölln, der Sprengstoff aus alten Granaten.

kd