Überzogene Positionen-betr.: "La blamage nucleaire", taz vom 27.10.89

betr.: „La blamage nucleaire“, taz vom 27.10.89

In Ihrem Kommentar schreiben Sie: „Umdenken sollten auch diejenigen, die uns eine explosionsartige Ausweitung der Atomstromkapazitäten als Heilmittel gegen die Klimakatastrophe andienen wollen. Selbst 100 AKWs am Rhein werden den Strombedarf nicht decken können, wenn der Strom nach Trockenperioden zum Rinnsal oder zur Thermalquelle mutiert.“ Ich kenne keinen ernstzunehmenden Energiepolitiker, Vertreter der Energiewirtschaft oder Kraftwerkshersteller, der derartig überzogene Positionen vertritt.

Die 21 Kernkraftwerke in der Bundesrepublik (an verschiedenen Flüssen) decken heute 40 Prozent der öffentlichen Stromversorgung. Der Stromverbrauch wird in den neunziger Jahren wohl nur noch mit geringen Raten zwischen ein und zwei Prozent pro Jahr ansteigen. Schon aus rein wirtschaftlichen Gründen wird die Kernenergie auch in Zukunft nur im Grundlastbereich, das heißt für den ganzjährigen Strombedarf rund um die Uhr, eingesetzt. Das Schreckgespenst einer „explosionsartigen Ausweitung der Atomstromkapazitäten“ entbehrt also einer sachlichen Grundlage.

Sicher wird im Zusammenhang mit dem Klimaproblem, das als Folge des sogenannten Treibhauseffekts befürchtet wird, eine Neubestimmung der Rolle der Kernenergie notwendig. Aber wem soll es nützen, die Klimadiskussion auf die Frage „Für oder wider die Kernenergie“ zu reduzieren? Genausowenig ist es zulässig, das Klimaproblem als Totschlagargument gegen die Kohle zu verwenden. Ich wehre mich dagegen, daß die - in Ihrem Kommentar nicht enthaltene - Behauptung auch in Ihrer Zeitung immer wieder aufgetischt wird, seitens der Energiewirtschaft und der Hersteller-Industrie werde die Kernenergie als die Lösung des Klimaproblems angeboten. Diese Behauptung ist falsch. Seitens der Industrie und auch seitens Siemens wird regelmäßig folgendermaßen argumentiert:

Wegen der Unterversorgung der Dritten Welt mit Energie und der unvermeidlichen weiteren Zunahme der Weltbevölkerung steigt der Weltenergiebedarf zwangsläufig. Eine ausreichende Energieversorgung zu akzeptablen Kosten und unter akzeptablen Umweltbedingungen kann deshalb nur erreicht werden, wenn alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen miteinander kombiniert werden: verstärktes Energiesparen, Nutzung aller Energiequellen, Weiterentwicklung der Energietechnik, Weiterentwicklung der regenerativen Energiequellen. Wir müssen es uns zum Ziel machen, den Energieverbrauch in den Industrieländern, besonders an fossilen Brennstoffen nicht nur pro Kopf, sondern auch in der Absoluthöhe wieder zu senken. Dadurch muß Raum geschaffen werden für einen vermehrten Einsatz fossiler Brennstoffe in der Dritten Welt. Es ist zu befürchten, daß trotzdem der Verbrauch an fossilen Brennstoffen weltweit in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen wird - ganz im Gegensatz zu den Forderungen der Klimakonferenz in Toronto. Wer will China verbieten, jährlich mehr als eine Milliarde Tonnen Kohle zu verbrauchen? Durch Bereitstellung von Kapital und Technologie an Entwicklungsländer müssen wir dafür sorgen, daß dort die wachsende Energieerzeugung und -anwendung wesentlich effizienter und umweltfreundlicher erfolgt.

Ein zunehmender Einsatz von Kernenergie kann einen Beitrag zur umweltverträglichen Lösung des Energieproblems leisten, aber für sich allein ebensowenig wie das Energiesparen das Energieproblem lösen. Kernenergie wird auch in Zukunft vorrangig in den Industrieländern einzusetzen sein, weniger in den Entwicklungsländern. Ein Ausstieg aus der Kernenergie seitens der Industrieländer wäre umwelt- und klimapolitisch sicher ein Schritt in die falsche Richtung.

Wolfgang Breyer, Leiter der Pressestelle der Kraftwerksunion