So sah es aus am Sielwall-Eck

■ Carl Georg Küster malte 1865 das (heutige) Sielwall-Eck / Städtische gegen ländliche Elemente: Eine Erinnerung an vergangene Zeiten

Zwei Herren im Frack mit Gehstock und Hund, offenbar städtische Spaziergänger, stehen an einem lieblichen Flüßchen, parlieren. An dem Gewässer stehen Häuser, Wäsche hängt aus, eine Brücke schwingt sich im Zentrum des Bildes, fern im Hintergrund steht eine Front von 2-3 stöckigen Wohnhäusern. Das Bild, 1865 von dem Landschafsmaler Carl Georg Köster gemalt, zeigt das heutige Sielwall-Eck. Das Wasser ist der „Dobbengraben“, der Weg über die Brücke verläuft an der Stelle, wo heute der Ostertorsteinweg in die Straße „Vor dem Steintor“ übergeht. Im Hintergrund sind die Rückseiten der Häuser an der Schleifmühle zu sehen.

Die Bremer Sozialhistorikerin Wiltrud Drechsel ist in einem Beitrag für die Uni-Zeitschrift „impulse“ der Frage nachgegangen, ob es wirklich so aussah am Sielwall-Eck um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Und ihre Nachforschungen haben ein überraschendes Ergebnis: Das Gemälde war eher ein Ausdruck des romantischen Bürgerprotestes oder der Erinnerung - gegen die Verstädterung. Zwar spricht zunächst viel für die Authentizität des Bildes vom Dobbengraben, der Maler und Zeichenlehrer Köster wohnte in der Wulwestraße und zog von dort lt. Bremer Adreßbuch 1861 zunächst zum Körnerwall, dann direkt an den Sielwall 17.

So idyllisch war der Dobbengraben damals allerdings schon lange nicht mehr gewesen. Es war „kein idyllischer Wasserlauf, sondern der träge dahinfließende, oft verschlammte und übelriechende Abwassersammler der östlichen Vorstadt, über den viel geklagt wurde“, schreibt W. Drechsel. Den Fußweg von der Weser Richtung Bürgerpark, nach Köster an der stadtwärts gelegenen Seite, „gab es schon auf einer Karte von 1848 nicht mehr. An seiner Stelle verlief eine breite Straße, die den Osterthorssteinweg mit der Straße 'Auf den Häfen‘ verband. (...) Daß der Dobben eine vder Hauptverkehrsachsen der östlichen Vorstadt würde, stand seit der Vorstadtplanung des Bremer Baudirektors Alexander Schröder von 1852 fest.“

Schröder wollte rechts und links des Dobbengrabens eine breite Straße mit Flanierwegen bauen lassen, es kam aber anders: Die Bürgerschaft debattierte 1860 über einen Plan zur Kanalisierung des Dobben. Diese war mit der zunehmenden Bautätigkeit in der östlichen Vorstadt dringend notwendig geworden, zumal inzwischen auch eine Spritfabrik im Steintor ihre Industrieabwässer in den Graben leitete. Abwasserkanal und Frischwasserleitung wurden neben dem alten Dobbengraben verlegt, der Graben zugeschüttet.

Da Quellwasser in die Bau-gruben eindrang, mußten sie mit einer Dampfmaschine leergepumpt werden. Der Maler Köster wohnte 1861 also an einer spektakultären Großbaustelle. Der neu entstehenden Straße entlang begann eine rege Bautätigkeit, insbesondere der Bauunternehmer Lüder Rutenberg sicherte sich rechtzeitig eine Reihe von Grundstücken. 1861 beschloß der Senat, dem ersten Teilstück der Straße den Namen „Sielwall“ zu geben.

Die Bewohner der neuen, repräsentativen Häuser - unter ihnen die Villa des Baulöwen Lüder Rutenberg, die heute vom Ortsamt besetzt ist - , hätten gern mit einem neuen Namen Esplanade, Hauptstraße oder ähnlich - die Erinnerung an die ärmlichen Vorstadt-Verhältnisse getilgt. „Dobben“, so weiß das „Bremer Lexikon“ von Werner Kloos, bedeutet „weiches Gelände am Sumpfrand“, der Dobben begrenzte die Bürgerweide, die damals weit über ihre heutigen Ausmaße hinaus bis an die Schleifmühle reichte. Aber der Senat ließ den alten Namen „Dobben“. nach dem Bericht von

Wiltrud Drechsel.

Klaus Wolschner