Gesundheit - oder lieber doch Schönheit?

■ Ein Besuch im neugegründeten kommerziellen „Institut für Herz-Kreislauf-Training“ / Sporttherapeutik zwischen Krankengymnastik und Fitness-Studio / Vom Ohrläppchen on line zum Bildschirm: wie oft pocht das Herz?

Wenn Manfred Waringer, Bankjustitiar, auf dem Hometrainer gesteht, er komme wegen seiner „Figur“, dann kann man ihm glauben. Auch wenn sich die 94 Kilo unter Trainingshose und T-Shirt des strampelnden Bankers dezent verteilen. Ob es Waninger im „Institut für Herz-Kreislauf-Training“ in der Steglitzer Hubertusstraße mehr um die Gesundheit geht, als um die Schönheit, weiß man damit allerdings noch nicht.

Daß es „bei uns um Gesundheit und nicht um Schönheit geht“, ist dagegen für den Sporttherapeuten Martin Brink an seinem neuen „Institut“ klar. Hier sollen nicht - wie in üblichen Fitness-Centern - mit „Krafttraining Bäuche weggekriegt, sondern mit gezielten Herz- und Kreislaufmaßnahmen Körperfunktionen regeneriert werden.“ Abnehmen will der 54jähriger Banker zumindest, um seinen Blutdruck zu senken, sagt er. Denn: „hoher Blutdruck ist ein Risikofaktor, der Herzinfarkt und Schlaganfall begünstigt“, warnt Brink.

Daß es sich bei seinem neueingerichteten „Institut“ nicht um noch ein weiteres Body-Builder-Center handelt, sollen schon die Werbekataloge mitteilen. Chic, aber zurückhaltend aufgemacht, hinterlassen sie den Eindruck, hier handelt es sich um eine seriöse, sporttherapeutische Einrichtung.

Und in der Tat warten in der Hubertusstraße nicht nur die üblichen Hometrainer, Laufbänder, Gewichthebe-Apparate und eine heiße Sauna auf Gestreßte und Übergewichtige. Für Gesundheit sollen zudem auch Sensoren und Computer sorgen. An einem Batteriegerät zum Beispiel messen Brinks „Patienten“ vor Beginn des Trainings den Blutdruck, um nach dem Training routinemäßig die Bestätigung abzufragen: er ist gesunken. Und wie stark man den Hometrainer treten darf, stellt „Institut„-Besitzer Brink alle 30 Trainingseinheiten, das heißt etwa alle drei bis vier Monate, „biochemisch“ fest. Dann piekst der Sporttherapeut alle vier Minuten ins Ohrläppchen und nimmt Blut ab und mißt mit Hilfe eines elektronischen Gerätes den „Laktatwert“.

In die Pedale des Trainingsrades darf man immer kräftiger treten, bis eine grüne Digitalanzeige auf Grundlage des „Laktatwertes“ errechnet, daß nicht mehr genügend Sauerstoff für Stoffwechselprozesse zur Verfügung steht. „Ab dann wird das Blut sauer“, sagt der gelernte Sportlehrer, „und mehr Leistung bringt nicht mehr Gesundheit.“

Brink demonstriert dies für die taz am Ohrläppchen des „Klienten“. Es meldet über einen Sensor gehorsam jeden Herzschlag an den Minicomputer am Lenker, während der Geldmann auf dem Hometrainer reitet. Dort sieht der Büroangestellte dann auch, was er selbst nie gezählt hat: pro Minute tritt er 72mal, sein Herz pocht 93mal, und auf einem Computermonitor werden die Daten graphisch so aufgearbeitet, daß sein Herz im „grünen Bereich“ schlägt und alles gesund aussieht.

Wenn Brink überhaupt eine „Klientin“ hat, der es ganz sicher nicht um Schönheit oder Bizepswuchs geht, dann die 68jährige Rentnerin, die regelmäßig zur Gymnastik kommt und auch sensorüberwacht auf dem Hometrainer reitet. Sie hatte bereits einen Herzinfarkt und ist begeistert davon, was ihr Brink „bietet“. „Die ärztlich verordnete Krankengymnastik war kein Vergleich dazu“, sagt sie. Jetzt bewegt sie sich wieder „lockerer auf der Straße“ und mit „mehr Ausdauer“. Wegen der Gesundheit und „ihrer krummen Wirbelsäule“ kommt auch die 24jährige Medizinstudentin Inna Luhe. Sie geht nicht mehr in eines der herkömmlichen Fitness-Studios, weil sie dort ihren „Rücken gemerkt“ hat. In einem Sportverein will sie nicht Mitglied werden, da fehlt ihr „das vielseitige Trainingsangebot“.

Zweifel am gesundheitlichen Erfolg hegt am ehesten noch Banker Waringer. „Vor eineinhalb Jahren habe ich das Rauchen aufgegeben, ein Riskofaktor weniger. Dann nahm ich 14 Kilo zu, ein Risikofaktor mehr“, ärgert er sich. Aber neun Monate will er vorerst bei Brink strampeln, für diese Zeit hat er bezahlt. Sollte er ein paar Kilo wegschwitzen, wird er aber nicht wissen, warum. War Brinks Institut so „gesund“ - oder war es die „Altherrenmannschaft“ von „Blau/Weiß 90“, mit der der Pfundsmann völlig ohne Therapieplan zweimal die Woche kickt?

Dirk Wildt