Der Papalagi als Papala-plagi...

■ ...oder die Verschwörung der Löcher

Ulrich Sonnemann

Am 18.10. berichtete die taz von der skandalösen Entscheidung des Stuttgarter Landgerichts, man dürfe ein Plagiat nicht Plagiat nennen, wenn man selbst das Original herausbringt. Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen. Ulrich Sonnemann, Sozialphilosoph in Kassel und langjähriger Beobachter des Landes der „unbegrenzten Unzumutbarkeiten“ sah sich die Entscheidung des Gerichts an.

Wieviel Löchern wir begegnen werden, läßt sich, ist doch die deutsche Justiz im Spiel, nicht im voraus sagen, aber das wird sich ertragen lassen, geht es fürs erste doch lediglich um diese beiden: das schwarze Loch der Astrophysiker, das mit seiner Gravität alles in sich reißt und nicht ein einziges Photon je dann wieder aus sich heraus läßt, das uns seine Innereien verraten könnte, und das schwärzlich -bräunliche, das an der rechten Socke - wo sie der nie noch beschnittene Nagel ihres großen Zehs durchdrang - der bundesdeutschen Rechtsprechung ungestopft blieb. Mag es schwer sein, die genannten zusammenzudenken, ihr Akkord wunderlich genug für die Frage sein, wie er theoretisch sich klären lasse, empirisch ist, daß und wie er sich abspielt, um so einfacher und in seiner Funktionalität offenkundig; hat sogar doch der Papalagi - wie bei seinem riesigen Markterfolg gerade seine Schutzbedürftigkeit als geburtstraumatischer Papala-plagi es ratsam machte -, um mit sieghaftem Sog, unumkehrbar, noch das Licht über seine eigenen Anfänge so gefangen zu nehmen, also in seine hermetische Düsternis einzusperren, wie zuvor nur die fernen Schrecken des ersteren Lochs es vermocht hatten, erst durch letzteres durchgemußt.

Das kam folgendermaßen. 1912, die weiteren folgen 1913, erscheinen von Hans Paasche nach einer längeren Reise durch Afrika die ersten von sechs ungewöhnlichen Briefen des Negers Lukanga Mukara aus Deutschland, der Briefschreiber ist fingiert, die krtische Distanz der Epistel, die der Verfasser den erdachten Besucher an seinen König in Afrika schreiben läßt, um so geglückter verfremdet, präzise kann da ein Unverbildeter, der keine Angst vor der Angst hat, die der knechtende Druck der deutschen sozialen Verhältnisse und die Verkrampftheit des menschlichen Verhaltens unter den Gängelungen des Militarismus ihm einflößen, schon die ganze unheilvolle Schiefheit eines geschichtlichen Zustands notieren, dessen erste Katastrophe bevorsteht. Nach ihrem Ende, 1921, erscheinen die Briefe in der Übersichtlichkeit die ihre prophetische Schärfe hervortreten läßt - eines Sammelbandes, etwas früher schon, 1920, zuerst Der Papalagi, mit dem ein Erich Scheurmann, der kurz vor Kriegsausbruch nach Samoa gereist war, ihren Grundriß sich aneignet und im gleichen Akt ihnen die politisch-polemischen Zähne zieht: zugunsten einer unverbindlichen, in die Nebel weltanschaulicher Beschwörung mündenden Klage über zivilisatorische Auswüchse, wie sie schon 1920 in die ephemere Katerstimmung paßte, die ein entleertes O Mensch! sprach. Im Deutschen Herbst war sie nicht nur wieder da, auch ihre unruhvoll wehrhafte Selbstintimität inzwischen viel weiter verbreitet: zu so ausnehmend tiefverstörter, ob auch ausgrenzungssüchtiger Sprachlosigkeit abgesunken, daß sie nicht weniger als nach Feindbildern nach erbaulichem Lesestoff auf der Lauer lag, daher erscheint auch der Papalagi nicht nur prompt wieder seit 1977, er bringt es auch zu einer Auflage von inzwischen nahe einer Million. Von jeher hat in Deutschland ein kritisches Buch wie Hans Paasches es schwerer, aber auch Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland ist seit 1984 erneut auf dem Markt, hat zwei Jahre darauf ihre nächste Auflage, zu der es in einem Nachwort heißt, das ihr Iring Fetscher schreibt:

„Daß ein ungeschicktes Plagiat, das den Afrikaner in einen Südseehäupting verwandelt und seine Kritik verharmlost, zu einem Kultbuch werden konnte, spricht für den ursrünglichen Text. Als das in den 20er Jahren unter dem Titel Der Papalagi neu aufgelegte Buch mit Reden eines Südseehäuptlings erstmals zu Lebzeiten Paasches erschien, verzichtete er mit der für ihn charakteristischen Großzügigkeit auf einen Plagiatsprozeß in der Hoffnung, daß auch auf diesem Umweg seine (Lukanga Mukaras) Erkentnisse Verbreitung finden würden.“

Dürfte diese Hoffnung auch trügerisch gewesen sein, auf die im Überfluß biographisch bezeugte gelassene Großzügigkeit, die sie zuließ, wirft ihr Illusionsgehalt keinen Schatten. Um so sicherer hat die unerhörte Befremdlichkeit dieser Weigerung, vor dem Prinzip Geschäft auf dem Bauch zu liegen, so verständlich die Papalagisten erst verwirrt, dann gereizt, schließlich in Wut gebracht wie an ihrer auffälligen Unfähigkeit abzulesen ist, Paasches Beispiel zu folgen.

Einer Klage gegen die Auflage von 1986, nämlich den zitierten Text Fetschers, der als Geschäftsschädigung für den Papalagi gegen das Wettbewerbsrecht verstoße, hat das Stuttgarter Landgericht vor zwei Wochen mit Begründungen stattgegeben, die seinem Souveränitätsanspruch keine Ehre machen. Ihre Ungereimtheit läßt sich bündeln, in ihren auffälligsten Verstößen gegen Recht und Billigkeit - wie sogleich geschehehn soll - demonstrieren, doch ist kennzeichnend für die Unterlassung, auf die Gegengründe des kleinen Bremer Donat-Verlags - der sich der Klage zu erwehren hat - wirklich einzugehen, auch und gerade, wie in solchen Fällen immer, das Unauffällige, das sich bereits sprachlich verrät, wo die Positionen der Prozeßgegner im Urteilstext zunächst referiert werden: nämlich als das, was er meint, so es sich um eine des Klägers handelt, während vom Beklagten das Gericht schon auf Seite 7 weiß, daß er die seinen behaupte.

Dem entspricht dann das Gestoppel der Argumente. Dem Richten geht ein Zurichten voraus, sie müssen sich, gegen deren evidenten Einspruch, ihre jeweiligen Gegenstände erst zurechtmachen, damit die Glanzpapierglätte der Rechtsförmigkeit die Inkohärenz in re überwölbe. So enthalten Fetschers inkriminierte zwei Sätze keineswegs bloß „eine abfällige Meinung und eine pauschale Abwertung“, sondern präsentieren, was sie wahrheitsgemäß festhalten, als von der Literaturgeschichte lange gesicherten, in seinen Belegen darum, in einem Nachwort, nicht abermals aufzutischenden, werk- und wirkungshistorisch desto relevanteren Sachverhalt, wo ein höchst denkwürdiges Dokument der verschütteten deutschen Bewußtseinsgeschichte nach mehr als einem halben Jahrhundert der notorischen Amnesie der Gesellschaft entrissen wird. Da diese Schlüsselstellung der verbotenen Sätze für Inhalt und Geschichte des Buches als schiere Zugehörigkeit zu dessen Sache ihre Veröffentlichung legitimiert, wird sie in der Urteilsbegründung gar nicht erwogen, kommt nicht vor, ohne Untersuchungen weiß schon das Landgericht, „das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Informationsinteresse des Lesers“ werde „vom Beklagten nur vorgeschoben, um seine eigenen Wettbewerbsinteressen zu fördern“ - aber woher weiß er das eigentlich?

Nun, von nirgendwo, er weiß es eben gar nicht, der Satz ist zwar so gehässig wie der kategorisch tut, ist und bleibt aber eine bloße Behauptung. Belege, wie sie sein Spezifisches, diese ins Blaue geschmissene Diskriminierung verlangte, die er mit unverfrorener Unterstellung verkündigt, werden gar nicht versucht. Am absurden Mißverhältnis zwischen den Auflagen eines Druckwerks des Massengeschmacks und eines kritisch sich exponierenden gleitet seine Diffamationsmechanik, die verwegene Mißliebigkeiten nach dem Erbrecht des Glaubenskriegers durch apriorische Herabsetzung ihrer Motive straft, zwar so ab wie erst recht an der Person des Verfassers der Sätze, aber das ist noch nicht das Entscheidende; sondern daß nicht einzig nun die topologische Sachlichkeit, sondern in Ermangelung ihrer Beweismittel auch die Logik des Gerichts kollabiert. Erwähnten Motivverdacht, den es zum Urteil erhebt, begründet es (sit venia verbo) mit nichts Triftigerem als dem Verhältnis des Wettbewerbs, in dem sich, als Geschäftsunternehmungen, die streitenden Verlage befinden. Insoweit dieser Hinweis zutrifft - getrost kann die Frage, in welchem Maß das hier der Fall ist, jetzt offenbleiben gilt er prinzipiell für alles, was in ihre Produkte qua Waren (die zu sein Bücher nicht umhin können) eingeht, aber das reicht nicht zur Begründung, warum von diesem generellen, von den Wettbewerbsgesetzen ja auch gebilligten Hintergrund die beanstandeten Sätze sich als widerrechtlich abheben sollen. Sie könnten das erst, wenn ihre Ergeblichkeit für die Sache des Lukanga Mukara, seinen Inhalt, seine Werk- und Wirkungsgeschichte, seine literaturhistorische Besonderheit widerlegt wäre; statt dessen, wir vermerkten es schon, wird sie zugunsten eines diffamatorischen Vorentscheids über die Motive des beklagten Verlags schlicht verschwiegen.

Daß den Richtern selbst dabei nicht wohl gewesen sein kann, ist auf Seite 10 an ihrer Einräumung abzulesen: „Ob die Behauptung tatsächlicher Art, nämlich daß Der Papalagi ein Plagiat sei, richtig ist, wird von der Kammer nicht abschließend entschieden“ - und dabei ist ihnen schon wieder nicht wohl. Sie melden „Zweifel“ an der Behauptung an, zitieren sogar Literaturwissenschaftler dafür, nur geben Zitate, forscht man nach ihrer analytischen Quintessenz, statt der Zweifel eher eine nähere Bestimmung, Präzisierung der verfälschenden Weise her, auf die der Papalagi, nämlich gerade vor dem Hintergrund „eigener Gedankenführung“, ja „abweichender Formulierung“, wie sein zelotisch predigender Umkehrappell da genannt wird, seine plagiatorischen Züge desto unterscheidbarer einfach nicht loswird.

Und hier sind wir endlich am Kern der Sache, den auf Seite 13 des Stuttgarter Urteilstextes selbst eine Berufung des Landgerichts auf eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs nicht deckt. Noch tut es - aus einer anderen - das Perversum ultrateutonicum, selbst die Wahrheit, wenn geschäftsschädigend, könne werblich (Gerichtsdeutsch) unstatthaft sein. Während eine Verabsolutierung von Geschäftsinteressen zur Unterdrückung von öffentlich-kritischen weder die Unabhängigkeit der Gerichte noch den Kulturanspruch ihrer Amtsträger kreditiert, kann selbst von einem solchen Zustand verlangt werden, daß er die Rechtsgleichheit für den geheiligten Wettbewerb also wenigstens nicht konterkariert. Genau das aber ist, was geschieht, wo ein Plagiatsvorwurf, der stringent sich begründen kann, von ihm ausgeschlosen wird, nicht aber sein Objekt: da dem Papalagi ja keineswegs auferlegt wird, sich vorgängig weiterer Teilnahme an dem stets schon - und offenbar seelenruhig - mit ihrer Hilfe bestrittenen Wettbewerb seiner Plagiatszüge zu entäußern.

Nach welcher Seite hin solche Asymmetrie ausfällt, ist für die deutsche Justiztradition kein Problem. Wann hätte sie sich eine Gelegenheit, die Literatur zu pönalisieren, entgehen lassen?