Die Kölner Tirade

■ Europäische Erstaufführung des ersten Dramas von Gabriel Garcia Marquez

Eine Frau ist es leid. Der Mann, den sie liebt, treibt sich herum, belügt, betrügt und erniedrigt sie, indem er mit Frauen schläft, die häßlicher sind als sie. Doch die große Aussprache ist ein Monolog in einem Akt, ein verweigerter Dialog. Denn der Macho hat sich hinter seiner Zeitung verbarrikadiert und schweigt teilnahmslos, das ganze Stück hindurch. Es wurde von Jean Cocteau für Edith Piaf geschrieben und 1940 unter dem Titel Der schöne Gleichgültige im Theater der Bouffes-Parisiens uraufgeführt.

Die Liebestirade gegen einen sitzenden Mann von Gabriel Garcia Marquez, deren europäische Erstaufführung das Schauspiel Köln jetzt in der Schlosserei-Bühne realisierte, ist mehr als eine Bearbeitung des französischen Dramas. Cocteau ließ eine Chansonnette in einem Hotelzimmer gegen ihren Gigolo wüten, und am Ende nahm sie aus Angst vor der Einsamkeit die Herzenskälte des stummen Helden in Kauf und fügte sich in ihr Schicksal. Der Kolumbianer Marquez siedelt sein Ehepaar im Establishment Cartagenas an, und die Frau läßt ihren stummen Gatten, eine Schaufensterpuppe, schließlich in Flammen aufgehen. Dann erst bekennt sie, daß sie sich ihn, so wie er war, erfunden hat.

Entscheidend aber ist, daß Marquez‘ Drama seine Qualität weit über dem Fundament Cocteaus entfaltet: Was Graciela Jaraiz de la Vera in der Nacht vor ihrer silbernen Hochzeit erkennt und mitleidlos gegen sich und ihren Mann richtet, überschreitet die virtuose, psychologische Etüde und faßt die Mechanik gesellschaftlicher Rituale, in der Glück nur als zynisches Surrogat erfahrbar ist.

„Nichts gleicht so sehr der Hölle wie eine glückliche Ehe!“ Dem Anfangssatz Gracielas, der das feurige Finale ahnen läßt, folgen die Erinnerungen an die Stationen ihres Scheiterns: Beide, sie arm, er reich, heiraten aus Protest gegen das Elternhaus, Gracielas ersehnter gesellschaftlicher Aufstieg aber ist ein Prozeß der Entwurzelung und Vereinsamung, der sich zugleich mit dem ökonomischen und menschlichen Niedergang ihres Mannes vollzieht: „Das Land ist am Ende.“ In dichten, eindrucksvollen Bildern beschwört Graciela die täglichen Zumutungen und Sehnsüchte, die den Griff zu den Streichhölzern plausibel machen.

In Köln hat der Regisseur (und Intendant) Klaus Pierwoß von der Liebestirade gegen einen sitzenden Mann eine weitere Fassung hergestellt. Er hat den Monolog gestrafft und die szenische Vielfalt eliminiert. Ursula Karusseit spielt die Graciela auf einer azentrischen Parkettkuppel, muß also stets ihre labile Position überwinden. Die Schauspielerin ist mit Graciela nicht zu verwechseln, sondern vertraut auf den Prozeß der Vergegenwärtigung durch Sprache stärker als auf die naturalistische Darstellung. Das Gewicht dieser Aufführung allgemein liegt auf der Inszenierung eines Textes bei stilisiertem, sparsamem Spiel, auf der Gestaltung der Sprechtempi und Tonfälle, kurz: auf der Ausformung des eineinviertelstündigen Spannungsbogens. Der mit diesem Konzept flink gewonnene Transfer schafft Geschlossenheit, nötigt aber auch zu Abweichungen vom Entwurf des Autors: Bei Marquez ist Graciela trotz aller Ankündigungen, fortan allein zu leben, fast bis zum Schluß damit beschäftigt, Vorbereitungen für das Ehejubiläum zu treffen. Bei Pierwoß weiß sie vom ersten Wort an, daß sie nach ihrem Monolog den teilnahmslosen Zeitungsleser verlassen wird.

Und schließlich das Ende: In der Textvorlage beendet Musik den Sprachfluß der Witwe; während Graciela langsam übertönt wird, lautet noch ihr letzter Satz: „Laßt mich reden!“ Auf der Kölner Bühne verbrennt Graciela ihren Mann nicht - was auch unfein wäre, denn der Schweiger ist hier ein Schauspieler, der sich sogar hinreißen läßt, sich neugierig nach der Partnerin umzusehen, als die verzweifelt zu Boden geht. Nein, Graciela zündet die Rückenlehne seines Sessels an, so daß der Flammenkranz den Ungerührten sakral illuminiert. Zuletzt stemmt sie die Bühnenrückwand auf und entkommt: eine Befreiungsgeste für das deutsche Publikum.

Bernd Leukert