Ein Opfer des Stalinismus

■ Walter Janka, deutscher Kommunist und Spanienkämpfer, Leiter des Aufbau-Verlages, durfte seit 1956 nicht mehr öffentlich reden in der DDR. Vergangenen Sonntag wurde er im Deutschen Theater in Ostberlin begeistert gefeiert.

Die Schlange vor dem Deutschen Theater war abends um acht Uhr schon so lang, daß kaum ein Drittel der Wartenden mehr Chancen auf einen Platz hatte. Die ersten waren bereits um sieben Uhr morgens gekommen, um für die Lesung aus Walter Jankas Buch „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ und für Jankas ersten öffentlichen Auftritt in der DDR seit 1956 anzustehen. Janka, ehemaliger Spanienkämpfer, Gründer des Exil-Verlags El Libro Libre und nach 1951 Leiter des Aufbau -Verlags, war neben Wolfgang Harich das prominenteste Opfer jener Ära, die es nach den Worten mancher „Reformer“ in der DDR gar nicht gegeben hat: des Stalinismus. In einem Schauprozeß vom 23. bis 26.Juli 1957, nach dem XX.Parteitag, wurde Janka wegen dem „Versuch, die Regierung Ulbricht zu stürzen“ und wegen seinem Plan, „das Haupt der Konterrevolution, Georg Lukacs, in die DDR zu schmuggeln“, zu fünf Jahren Kerker verurteilt. Seine Erinnerungen sind im September bei rororo-aktuell unter dem Titel „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ erschienen. Der DDR-Autor Heiner Müller hatte die Lesung zusammen mit dem Intendanten des Deutschen Theaters, Dieter Mann, initiiert. Ein Eintrittsentgelt wurde nicht verlangt. Mann mußte mit dem Megaphon Hunderte von Wartenden vor dem Theater beruhigen. Er versprach, daß die Veranstaltung am kommenden Sonntag wiederholt werden würde.

Der Schauspieler Ulrich Mühe las zwei Stunden lang aus Jankas Buch. Eingeleitet wurde die Lesung von einer Erklärung Christa Wolfs, die Janka noch als Leiter des Aufbau-Verlags kennengelernt hatte. Sie will bei der nächsten Lesung (Sonntag, elf Uhr vormittags) anwesend sein. In ihrer Erklärung ist die Rede von „unseren eigenen Schwierigkeiten mit der Wahrheit“, vom Anlaß „zu Reue und Scham“ und von der Notwendigkeit, Jankas Buch in der DDR zu publizieren. Inzwischen hat der Aufbau-Verlag seine Bereitschaft dazu bekundet; Christa Wolf will ein Vorwort schreiben.

Walter Janka hat damit, nach 30 Jahren des Schweigens, eine erste moralische Rehabilitierung in der DDR erfahren. Sie sei ihm, sagte er kurz vor Mitternacht in seiner abschließenden Erklärung, „hundertmal mehr wert als alles, was noch zuständige Organe veranlassen könnten“. Das Publikum im überfüllten Theater feierte Janka emphatisch und unterbrach fast jeden Satz seiner Rede mit Applaus. Er schloß mit der Forderung, jene in den Ruhestand zu versetzen, „die uns einen ideologischen Scherbenhaufen hinterlassen“ haben. Der viertelstündige Schlußapplaus galt Janka und dem Mut der Veranstalter, die Stalinzeit zum Thema zu machen. Der Verband der Film- und Fernseh-Schaffenden und die Akademie der Künste der DDR haben inzwischen in verschiedenen DDR-Publikationben Jankas Rehabilitierung gefordert.

Michael Rohrwasser