DON'T PAY THE FERRYMAN

■ Die Stiftung Warentest untersuchte Mittelmeerfähren

Marketingspezialisten wissen es schon seit langem: Der Mensch von heute ist übersättigt und gelangweilt. „Grenzerfahrungen werden in der Freizeit gesucht; meist sind Sport und Urlaub die letzten Abenteuer“, resümiert ein Unternehmensberater verändertes Freizeitverhalten.

Der Stiftung Warentest ist es jetzt zu verdanken, daß diese Grenzerfahrungen nicht mehr beim Triathlon gesucht werden müssen oder indem man ohne Sauerstoff Achttausender besteigt oder nur mit einem Flachmann voll Wasser die Wüste Gobi durchwandert. Das simple Besteigen einer Mittelmeerfähre birgt mit fast 50prozentiger Sicherheit die gleiche Abenteuer-Qualität, haben die Warentester im Dienste des Verbraucherschutzes herausgefunden. Denn von 39 auf ihre Sicherheit hin überprüften Fähren schafften immerhin 16 ein „mangelhaft“ und zwei sogar eine „sehr mangelhaft“. Zum absoluten Hit für Abenteuerlustige dürfte sich in Zukunft die Reise von Cesme (Türkei) nach Chios (Griechenland) mit der „Ertürk I“ entwickeln. Denn auf diesem Dampfer findet sich alles, was eine Schiffsreise so richtig spannend macht: keine Rettungswesen, Rettungsboote, die nicht zu Wasser gelassen werden können, und zerbrochene Rettungsringe. Als besonderen Nervenkitzel-Service bietet das 35 Meter lange Schiff noch, daß es im Register ohne Passagierzahl geführt wird, während der Prospekt der Reederei 500 Gäste zur Mitfahrt einlädt.

Etwas weniger Abenteuerlustige könnten es mit einem Trip auf der „Ciudad de Badajoz“ von Barcelona nach Mallorca versuchen. Hier sind zwar Rettungswesten vorhanden, doch sollte das Schiff tunlichst nicht im Dunkeln untergehen, da die umzubindenden Lebensretter weder mit Trillerpfeifen noch mit Leuchten versehen sind. Doch kommt dieser spannungserhöhende Mangel ohnehin nur zum Tragen, wenn der gerade essende Passagier es geschafft hat, eine der mit Ketten versperrten Fluchttüren des Speisesaales zu knacken.

Durchaus zu empfehlen ist auch eine Fahrt nach Korsika oder Sardinien. Denn die von Livorno (Italien) aus operierende Reederei „Navarma“ bietet einen besonderen Abenteuer -Service. Wer ein Schiff der „Moby-Reihe“ betritt, spielt nämlich so etwas wie Russisch-Roulette. Von drei Schiffen, die die Experten im Auftrag der Warentester mit ihren 13seitigen Checklisten besuchten, erhielten zwei das Prädikat „mangelhaft“, während das dritte durchaus „zufriedenstellend“ war.

Grundsätzlich gilt nach diesem Test, der in der Novemberausgabe der Zeitschrift 'test‘ abgedruckt ist, daß das Abenteuer um so garantierter ist, je weiter östlich Schiffsplanken betreten werden. Diese Empfehlung ist allerdings mit einer Einschränkung zu genießen. Zwar ist die Chance, in der Ägäis ein Schiff mit aufgeschlitzten Feuerlöschschläuchen oder fehlenden Rettungsringen zu finden, größer als im westlichen Mittelmeer. Andererseits jedoch waren die Warentest-Inspektoren auf keiner Fähre, die zwischen Europa und Afrika verkehrt, sei das nun Spanien -Marokko oder Frankreich-Algerien. Ohnehin entwerten die Warentester das von ihnen gezeichnete Bild eines „Gruselkabinetts“ auf den Mittelmeerfähren ein wenig, als sie anläßlich der Vorstellung ihrer Testergebnisse auch noch eine Liste der Schiffsunglücke mit Fährbeteiligung mitlieferten. Denn auf dieser Liste muß man 18 Jahre zurückgehen, um ein Fährunglück im Mittelmeer zu finden, bei dem ein Passagier ums Leben kam. Da kann die Mordsee Nordsee mit ganz anderen Katastrophen aufwarten. Nur einen guten Monat ist es her, daß zwei Menschen vor Esbjerg (Dänemark) erstickten, als auf der Fähre „Tor Scandinavia“ ein Feuer ausbrach. Ganz zu schweigen von der „Herald of Free Enterprise“, bei der eine geöffnete Bugklappe 1987 vor Zeebrügge (Belgien) für 193 Menschen den Tod bedeutete, obwohl genügend Rettungswesten an Bord und die Feuerlöscheinrichtungen in Ordnung waren.

Der Nervenkitzel suchende Urlauber hat es also bei der Wahl der Fähre trotz des „Warentests“ gar nicht so einfach. Zwar geben sich im Mittelmeer die Reedereien und Schiffsführungen offensichtlich alle erdenkliche Mühe, die Voraussetzungen für ein echtes Abenteuer zu schaffen. Auf der anderen Seite jedoch zeigt die Statistik, daß man auf der Nordsee die Kunst beherrscht, mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Katastrophe zu erzielen. In dieser Zwickmühle kann unsere Empfehlung mit Chris de Burgh nur lauten: „Don't pay the ferryman (...) until he gets you on the other side.“

Kai Fabig