ENGEL ÜBER OBERSTDORF

■ Laue Appelle bei den vierten Allgäuer Tourismusgesprächen

Theoretisch wär's eine sahnesanfte Anreise zu den vierten „Allgäuer Gesprächen“ geworden. Mit der Bahn bis Oberstdorf, mit dem Bus zur Talstation, mit der Gondel aufs Fellhorn und dann in einem halbstündigen Abstieg zum Kanzelwandhaus, der Tagungsstätte der Naturfreundejugend. Satte 1.500 Meter hoch gelegen. Als Alternative zur Gondel und zum Erleben der Alpen könnten die Tagungsteilnehmer auch den eineinhalbstündigen Aufstieg ab Talstation wählen. Uns Plattländern aus dem Norden der Republik blieb nach zehn Stunden Deutscher Bundesbahn gar nichts anderes übrig. Die letzte Gondel fährt nachmittags, mittlerweile war's halb sieben und zappenduster. Nur der Vollmond zog hinter den schneebemützten Alpengipfel hoch. Also ging's unter der fachkundigen Leitung der beiden Jungs von „Sport mit Einsicht“ quer durch den Wald, bergauf, locker über Wurzeln gestolpert und „wo war noch der Weg?“ - „Wieso Weg?“ - „Na hier musser doch sein.“ - „Nö, an dieser Stelle ham wir uns letztes Jahr schon verlaufen.“ - „Ach!“ - Die Regeln für umweltfreundliches Wandern blieben unter diesen Umständen in der Schublade. Welch eine Symbolik für das folgende Wochenende, das unter dem Motto Sanfter Tourismus in Theorie und Praxis stand. Dilemma der Tourismuskritik

Denn der Schuh, wie die seit zehn Jahren diskutierte Tourismuskritik umgesetzt werden kann, war denn doch eine Nummer zu groß. Die vierten „Allgäuer Gespräche“, zu denen sich kürzlich VertreterInnen aus rund 40 Naturschutz-, Jugend-, Freizeit- und Sportverbänden trafen, litten unter dem Dilemma, daß die Sache mit dem sozial- und umweltverträglichen Reisen ja irgendwie schon klar sei, daß man sich in den gemeinnützigen Verbänden auch redlich um alternative Angebote bemühe, wobei jeder so vor sich hinwurschtele, aber daß die Tourismusindustrie eben kein Krämerladen sei, der mal eben umgeräumt werden könne. Inzwischen kommen auch die „harten“ Touristiker an und beteuern, daß man sich selbstverständlich nicht den eigenen Ast absägen will. Urlauber reagieren inzwischen eben sensibler auf Umweltschäden. Da läßt dann die TUI ihre Reiseleiter auf Menorca schon mal den Strand vor der Hauptsaison aufräumen; ein Spezialveranstalter für Griechenland und die Türkei pflanzt für jede Buchung ein Bäumchen; in den Katalogen wird häufig ein „offenes Wort“ eingeräumt, um die Gäste vor möglichem Baulärm zu warnen. Auf der „Internationalen Tourismusbörse“ sind die „spinnerten“ Tourismuskritiker von damals inzwischen hoffähig, und bei Algenpest und Buchungsrückgängen aus den Betonburgen kräuselt man in den Vorstandsetagen nachdenklich die Stirn. Sanftes Gütesiegel

Es sei Dynamik ins Thema gekommen, konstatierte Michael Bassemir, der an dem gemeinsamen Projekt „Sanfter Tourismus“ von Naturfreunden und Deutschem Naturschutzring mitarbeitet. Dort werden vorhandene Ansätze gesammelt und sollen zu einem Kriterienkatalog zusammengefaßt werden.

Diese Idee wurde beim Allgäuer Treffen in einer Arbeitsgruppe weiterdiskutiert, und damit per Definition klar ist, welche Pauschalreise oder Unterkunft tatsächlich sozial- und umweltverträglich ist, will man ein Gütesiegel, ähnlich dem „blauen Engel“, entwickeln. Nur wo sanft drauf steht, ist dann auch sanft drin. Ein harter Katalog würde es wohl werden, der allerdings, das räumte die Arbeitsgruppe ein, wohl weich gehandelt werden müsse, weil das Siegel ja sonst keiner kriegen könnte. Man wird sich sputen müssen, denn auch der Internationale Verband der Reiseveranstalter (IFTO) plant, ein Gütesiegel für Umweltschutz und Sauberkeit an Ferienregionen zu verleihen.

Während die großen Reiseveranstalter über kurz oder lang die Kuschelecke für den Bio-Reisenden einrichten werden, schließlich hat der Studienkreis für Tourismus ein Nachfragepotential von 20 Prozent für ökologische Reisen in der bundesdeutschen Bevölkerung ermittelt, hängt dem häufig ehrenamtlich oder auf ABM-Basis organisierten sanften Verbandstourismus immer noch ein selbstgestricktes Asketentour-Image an. Neben der Forderung, die so neu ja nun auch nicht ist, sich in die Tourismuspolitik auf allen Ebenen einzumischen, waren deshalb Professionalisierung und Imageverbesserung die Stichworte, damit man langfristig auf dem harten Reisemarkt überleben könne. Doch übertriebene Hoffnungen dämpfte Christian Burkhardt von den „Naturfreunde Reisen“ aus der Schweiz. Nach seiner ersten Saison, so richtig mit Reiseladen und bezahlten Reiseleitern Ökotouren zu verkaufen, konstatierte er: „Die Nachfrage nach Badereisen war enorm.“ Und obwohl man das Flugzeug als Verkehrsmittel natürlich ablehnt, finanzierten teure Flugreisen die sanften Touren, die sich alleine nicht rechnen würden.

„Komplizierte Prozesse eines Kulturwandels“, analysierte Dieter Kramer, Theoretiker der Naturfreunde. So ein „Paradigmenwechsel“, in dem andere Erlebnisformen erst noch gelernt werden müssen und sich auch gesamtgesellschaftlich neue Wertvorstellungen durchsetzen müssen, geschähe eben nicht von heute auf morgen. Und vor allem, so Kramer, müsse man den Massencharakter des Tourismus akzeptieren. „Wir müssen uns in die Lage versetzen, auch große Mengen zu bewegen.“ Es sind eben soviele. Raus aus der Nische - rein ins Getümmel.

Dazu sind die großen Würfe notwendig, Konzepte, die gemeinsam mit Politikern, Fremdenverkehrsvereinen und Veranstaltern umgesetzt werden, die langfristig im Ramen einer Regionalplanung für Fremdenverkehrsgemeinden sozial und umweltverträglich sind. Einen im Vorfeld vieldiskutierten Ansatz zum sanften Tourismus gab es diesen Sommer im Saarland mit ökologischen Klassenfahrten, Familienfreizeiten, „Sozialer Pedale“, interkultureller Begegnung und wissenschaftlicher Begleitung. Auch wenn die endgültige Auswertung des Projekts erst Anfang Dezember veröffentlicht wird, hätte man ja im Kanzelwandhaus durchaus schon mal ein wenig Praxis diskutieren können.

Statt dessen gab's den etwas lauen Appell an die „politisch Verantwortlichen und die Fremdenverkehrswirtschaft, gemeinsam nach Wegen zu einem Umbau des Tourismus zu suchen“. Falsch ist das sicher nicht, aber auch nicht unbedingt revolutionär. So ist das eben mit dem Paradigmenwechsel.

Kirsten Wulf