: Die Verdummungsagentur will sich wandeln
■ Journalisten der DDR-Nachrichtenagentur 'adn‘ demonstrieren heute mit Forderungen nach Pressefreiheit mit in Ost-Berlin / Generaldirektor gelobt „Glasnost“ / Die Zeit des Kuschens soll vorbei sein / Jetzt wird auch kritisch gefragt
Berlin (taz) - Am Anfang stand die Wut Über die Presse. Die staatlichen Medien hatten nach den DDR-Jubelfeiern vom 7.Oktober die Demonstrationen verschwiegen oder Kurzmeldungen über die Zusammenrottung von Rowdies plaziert. Und so stand für die Ostberliner „Theaterschaffenden“, die die heutige Demonstration anmeldeten, fest: Die Hauptforderung soll „Pressefreiheit“ lauten, und der Zug beginnt vor dem Symbol des staatichen Verdummungsapparats, dem Gebäude des 'adn‘ (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst).
Heute werden die vielgeschmähten Journalisten der Agentur sich als Betriebsgruppe unter die Demonstranten mischen. Mit eigenen Transparenten wollen sie ihre Forderungen nach einem Mediengesetz, nach Aufhebung der Strafrechtsparagraphen gegen Pressefreiheit und nach einem Regierungssprecher vortragen. Die Regierung und nicht mehr die Partei soll künftig Ansprechpartner sein.
Die Umkehr begann vor zwei Wochen - mit der Ablösung von Joachim Herrmann, im Politbüro für Medien zuständig und über den Chef der ZK-Abteilung Agitation, Heinz Guggel, de facto -Aufpasser bei 'adn‘. Alle politisch „sensiblen“ Meldungen mußten in dessen Büro abgesegnet werden. Wenn sie zurückkamen, trugen sie schon den verschlüsselten Code, der den Chefredakteuren der Zeitungen signalisierte, auf welcher Seite und mit wievielen Spalten der Artikel im Blatt zu stehen hatte. Die Generallinie wurde wöchentlich in der Konferenz der Chefredakteure mit Herrmann bekanntgegeben.
Als das ZK-Plenum den nun schaßte, fehlte von einem Tag auf den anderen die Klammer zur Partei. ZK-Abteilungsleiter Guggel mischte sich nicht mehr ein, 'adn'-Generaldirektor Pötschke sah sich schnell dem Druck seiner Belegschaft ausgesetzt, die in einer Resolution verkündete, es dürfe „nie wieder die Selbstherrlichkeit einzelner“ die Agenturarbeit bestimmen. Pötschke bekannte sich auf einer Betriebsversammlung schuldig: Er habe schon länger gewußt, daß es mit der Medienpolitik nicht mehr so weitergehen könne. Er gelobte, Ernst zu machen mit der Öffnung der Medien.
Tatsächlich hat sich in zwei Wochen viel verändert. Die Journalisten der Agentur sind selbstbewußter geworden, fragen kritischer, kuschen nicht mehr, wenn sich ein Generaldirektor über Meldungen beschwert, weil sie angeblich „Schaden anrichtet“. Früher wäre, so berichtet jemand aus dem Innern des Hauses, das eine Unterwürfigkeitserklärung angesagt gewesen. Heute heißt es: „Sie können uns gern eine Gegendarstellung schicken!“
Tobias Lehmann
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