: Strahlenkonferenz auf heißem Boden
In Birkenfeld, nahe der Urananlage Ellweiler diskutierten Experten über die Gefahren durch radioaktive Niedrigstrahlung Rekord-Radonwerte liegen 700fach über dem Landesdurchschnitt / Ist die deutlich erhöhte Leukämierate eine Folge der Belastung? ■ Von Thomas Krummenacker
Birkenfeld (taz) - Seinen Humor hat der Birkenfelder Landrat Ernst Theilen (SPD) durch die strahlenden Probleme seines Landkreises offenbar noch nicht verloren. Er beabsichtige nicht, für Ellweiler die Zulassung als Radon-Kurort zu beantragen, witzelte er am Donnerstag beim Kongreß Niedrigstrahlung und Gesundheit. Fachleute aus der Bundesrepublik und dem Ausland sind zu dem Meeting in den Hunsrück-Ort Birkenfeld gekommen, der in unmittelbarer Nachbarschaft zur heftig umstrittenen Urananlage Ellweiler liegt. Theilen traf mit seinem Jokus gleich den wunden Punkt: Während in Birkenfeld nämlich „vor einer schleichenden Nuklearisierung des Alltags“ gewarnt wurde, berieten im benachbarten Bad Kreuznach die Kurbäderchefs, wie man angesichts der alarmierend hohen Konzentrationen des radioaktiven Edelgases Radon künftig noch Kurgäste anlocken kann.
Konzentrationen bis zum Siebenhundertfachen des BRD -Durchschnittswertes fanden Wissenschaftler der Hochschule Homburg bei ihren Messungen in einem Haus in Ellweiler. Auf dem Kongreß wurden diese Rekord-Werte erstmals vorgestellt. Legt man die ohnehin nicht zimperlichen Richtwerte der Strahlenschutzkommiossion an, müßten ein Drittel aller Häuser der Gemeinde saniert werden. Einen verbindlichen Grenzwert für Radon gibt es noch nicht.
Daß es im Kreis Birkenfeld strahlt wie an keinem anderen Ort der Republik, darüber waren sich die ExpertInnen einig. Favorisierte der Homburger Biophysiker Gert Keller, der seine Studie im Auftrag des Mainzer Umweltministeriums durchführte, hartnäckig die „geologische Situation“ als schuldige, so wiesen seine KritikerInnen auf die am Ortsrand gelegene einzige Uranaufbereitungsanlage der BRD.
Abfälle aus dieser Uranverarbeitung könnten über Jahre hinweg in den Häusern verbaut worden sein, wurde vermutet. Daß dem so ist, bestätigt auch die Ellweiler Bevölkerung. „Den Sand gab's umsonst, soviel man wollte“, berichtete ein Rentner gegnüber der taz über die damalige Bausituation. Aber nicht nur private Bauherren nutzten den verstrahlten Sand: Ganze Teile des US-Truppenübungsplatzes Baumholder und sogar das Nato-Kriegshauptquartier Europa-Mitte wurden mit Ellweiler-Sand versetzt. Von den Amerikanern gebe es bislang keine Reaktionen. „Die messen noch“, hieß es auf dem Kongreß.
Die Urananlage steht nach einer Anordnung des Umweltministers inzwischen still. Nach mehr als 20 Jahren Betrieb war festgestellt worden, daß die Betreibergesellschaft „Gewerkschaft Brunhilde“ „ohne Konzept und möglicherweise auch ohne Genehmigung“ Uranerz zu Urankonzentrat für AKW-Brennstäbe verarbeitet hat. „Wir sind alle sensibler geworden“, rechtfertigt sich der zumindest verbal geläuterte Landrat. Aber auch jetzt strahlen die Abraumhalden der Anlage ungeschützt weiter. Die Betreiber wollen sie notdürftig mit einer Spezialplane und mit Erdaushub abdecken.
Was durch den strahlenden Abraum möglicherweise angerichtet wird, hat eine der wenigen aktuellen Studien aus der BRD zum Thema Leukämie in der Birkenfelder Gegend der Bremer Physikerin Schmitz-Feuerhake untersucht. Einer von ihr bei der Konferenz vorgelegten ersten Übersicht zufolge sei die Leukämierate bei Kindern zwischen 1970 und heute je nach Vergleichsmaßstab dort doppelt bis dreifach so hoch wie im Durchschnitt. Ob dafür die Radon-Belastung etwa aus den Häusern verantwortlich sei, könne bislang nicht eindeutig bewiesen werden.
In einer ähnlichen Studie über die Leukämie-Häufung um das Atomkraftwerk Würgassen kommt der Kasseler Kinderarzt Mathias Demuth zu einem vorsichtigen Ergebnis: „Nach dem derzeitigen Stand der Forschung besteht zumindest der Verdacht eines Zusammenhangs.“ Bisher existieren nur sehr wenige Arbeiten zu diesem Thema. Und selbst bei den wenigen Forschungen gibt es Probleme: „Wird ein unbequemes Ergebnis erwartet, sind plötzlich viele Kanäle zu“, kritisierte Schmitz-Feuerhake das Mainzer „Krebsregister“. Heftige Kritik wurde bei der Tagung auch an den „Dogmen“ der bisherigen Strahlenforschung geübt. „Das Prinzip 'bei gleicher Strahlung gleiches Krebsrisiko für alle‘ geht voll an der Realität vorbei“, sagte Roland Scholz (Uni München).
Während Landrat Theilen sich von der Konferenz eine „Politikberatung durch die Wissenschaft“ erwartet, war für den jetzigen Mainzer Umweltminister Alfred Beth (CDU) schon vor Beginn der Tagung klar, daß dabei nichts Neues herauskommen könne; so jedenfalls begründete er seine Absage. Unterdessen kamen die Neuigkeiten aus Mainz: Beth sehe in dem von den Ellweiler-Betreibern vorgelegten provisorischen Sanierungskonzept (Plane und Erdaushub) für die Urananlage eine geeignete Maßnahme, „die Strahlenbelastung so nachhaltig zu verringern, daß zukünftig die Grenzwerte der Strahlenschutzkommission eingehalten würden“. Stoff für weitere Forschungen ist also garantiert.
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