Erzwungene Militanz

■ Serbische Diskriminierungspolitik fordert Albaner heraus

Noch gibt es keine IRA oder eine ETA im Kosovo, doch könnte der Langmut der albanischen Bevölkerung der Region bald erschöpft sein. Nachdem die serbische Verwaltung, Justiz und Polizei ohne Rücksicht auf die Regeln des friedlichen Zusammenlebens im Vielvölkerstaat ungehindert in der Provinz schaltet und waltet, nachdem Hunderte von Inhaftierten unter den unwürdigsten Bedingungen über Monate im Gefängnis gehalten werden, nachdem die Informationen über Folterungen der Gefangenen kursieren, ist das Kosovo in der Tat zu einem Pulverfaß geworden.

Und der Funke, der die Explosion auslösen könnte, ist auch schon nah genug: Der Prozeß gegen die ehemalige Führung der Partei Kosovos, gegen Azem Vlasi und seine Mitstreiter, hat nun begonnen. Die Anklage ist dabei reiner Hohn. Dem ehemaligen Parteichef Vlasi, der noch im März die Arbeiter von weiteren Streikaktionen abhielt, wird vorgeworfen, Anstifter der damaligen Streikbewegung und damit „Konterrevolutionär“ gewesen zu sein.

Wenn jetzt die Menschen im Kosovo auf die Straße gehen und nun auch scharf geschossen und getötet wird, ist es für den Fortgang der Ereignisse kaum noch erheblich, ob nur die Polizei oder auch einzelne Albaner den Anfang machten. Die Dynamik der Entwicklung geht in Richtung militanter Widerstand der Albaner der Provinz, wenn es der Zentralregierung in Belgrad nicht gelingt, die serbische Politik wieder an die Zügel zu nehmen. Denn so lange die nationalistischen Hetzparolen, die für sich genommen schon schlimm genug sind, weiterhin in konkrete Repressionspolitik umgesetzt werden können, bleibt für die Albaner nur noch die Militanz.

Das geht an die Substanz des gesamten Vielvölkerstaates. Die Belgrader Zentralregierung wird nun zeigen müssen, ob sie überhaupt noch die Kraft hat, sich gegen die Politik des serbischen Parteichefs Milosevics zu stellen. Wenn nicht, bleibt den nördlichen Republiken Kroatien und Slowenien nur die weitere Abkoppelung von einem Gesamtstaat, dem es nicht mehr gelingt, die grundlegenden Rechte einer großen Bevölkerungsgruppe gegen den Terror der serbischen Nationalisten zu gewährleisten. Da sich Slowenien mit seiner Verfassungsänderung das Hintertürchen des Ausstiegs aus Jugoslawien schon geöffnet hat, ist das früher Undenkbare in eine greifbare Zukunft gerückt, wenn sich die Zentralregierung und das Militär nicht eines Besseren besinnen.

Erich Rathfelder