Wider die Qual der Wahl

Namibias Schüler gehen von Haus zu Haus und zeigen den Leuten, wie sie einen Wahlzettel ausfüllen / Swapo und DTA klären Analphabeten auf  ■  Aus Windhuk Hans Brandt

Die beiden Händlerinnen sitzen in der brütenden Sonne, unter Schirmen geduckt, in Katutura, dem schwarzen Wohngebiet bei Windhuk, der Hauptstadt Namibias. Auch ihre Waren haben sie in den Schatten gezogen: gegrillte Schafsköpfe, die Zähne vom Feuer verkohlt, Orangen und Äpfel, ein paar Süßigkeiten. Als die vier Mitglieder der Schülerorganisation NANSO auf sie zukommen, blicken sie zunächst gelangweilt auf. Es geht um die Unabhängigkeitswahl nächste Woche, die erste Wahl im Leben dieser Frauen. Die Schüler erklären ihnen, wann sie wählen können (von Dienstag bis Samstag zwischen 7 und 19 Uhr), welche Dokumente sie vorlegen müssen und wie man einen Stimmzettel ausfüllt. Sie geben den Frauen einen kopierten Stimmzettel. Darauf erscheinen die Namen der zehn Parteien und Fronten, die an der Wahl teilnehmen. Aber viele WählerInnen sind Analphabeten. Deshalb erscheinen auch die Symbole der Parteien auf dem Zettel. Für die südwestafrikanische Volksorganisation Swapo ist das ein Mann mit emporgestreckter Faust. Mühsam machen die Frauen ihr Kreuz neben dem Swapo-Symbol, sie falten den Zettel vorschriftsgemäß und geben ihn den NANSO-Schülern zurück.

„Viele können nicht einmal ohne Übung ein Kreuz machen“, erzählt die Schülerin, die die Gruppe leitet. „Und die Analphabeten bringen oft die Symbole der Parteien durcheinander.“ Deshalb gehen Schülergruppen seit einer Woche in ganz Katutura von Haus zu Haus und betreiben Wählerausbildung. Im Gemeinschaftszentrum von Katutura erzählt der NANSO-Sekretär für internationale Angelegenheiten, Elly Shipiki, daß die Schüler auch Gruppen in abgelegene Teile Namibias geschickt haben. „Zwischen vier und zehn Prozent der Leute, die an Testwahlen teilnehmen, machen Fehler“, sagt er. Die größte Verwirrung verursacht das Symbol der „Swapo Demokraten“, einer vor zehn Jahren von der Swapo abgespaltenen Gruppe. Ihr Symbol ist die brennende Fackel - eigentlich das traditionelle Swapo-Symbol. Die Swapo hat sich eigens für die Wahl ein neues Emblem aussuchen müssen, und viele WählerInnen kennen das noch nicht. So wird erwartet, daß Fehler beim Wählen die Swapo bis zu drei Mandate in der verfassunggebenden Versammlung kosten können.

Im Büro der Gewerkschaftsföderation NUNW liegen ausgefüllte Stimmzettel auf dem Boden verstreut. „Als wir den Leuten gesagt haben, daß in jedem Wahllokal mindestens vier südafrikanische Beamte und ein Polizist sein würden, da haben sie gesagt: 'Au wei, dann gehen wir lieber nicht wählen'“, erzählt Godfrey Mdevulana. Nur nach einigen Überredungskünsten und dem Hinweis, daß Beobachter der „United Nations Transition Assistance Group“ (Untag) aufpassen, können die Leute zur Wahl bewegt werden.

Auf den meisten Dächern in Katutura flattern die Fähnchen politischer Parteien. Man erkennt auch, daß der Ort nach Stammeszugehörigkeit aufgeteilt ist. In den Owambo-Gegenden sind fast nur Fahnen der Swapo zu sehen, die als „Ovamboland Peoples Congress“ 1958 gegründet wurde. Eine der wichtigsten politischen Kampagnen in den Anfängen der Swapo war der Kampf gegen die Zwangsumsiedlung aller Schwarzen in Windhuk nach Katutura. Bei einer Demonstration im Dezember 1959 eröffnete die Polizei das Feuer. 13 Menschen wurden getötet, 54 verletzt. Swapo-Präsident Sam Nujoma, der die Demonstration organisiert hatte, flüchtete ins Exil. Erst im September dieses Jahres kam er nach Katutura zurück.

Der Kampf gegen die Umsiedlung blieb erfolglos. Heute wohnen alle Schwarzen dieser Gegend dort. Der zweitgrößte Stamm der Hereros unterstützt die Swapo-Rivalin „Demokratische Turnhalle Allianz“ (DTA), die von Südafrika und den Weißen in Namibia finanziert wird. In Herero -Gebieten herrschen die DTA-Farben Blau-Weiß-Rot vor. Große Aufregung über die Wahl ist allerdings nicht mehr zu spüren. Der Wahlkampf dauert schon seit Anfang Juli. Niemand kann vier Monate lang Begeisterung für eine Wahl aufrechterhalten.

Dennoch kommen etwa 300 Leute am Abend zu einem Seminar unter freiem Himmel vor dem NUNW-Büro. Ein Swapo-Sprecher fordert die Leute auf, an den fünf Wahltagen nicht zu trinken. „Laßt den Alkohol“, ruft er leidenschaftlich, „er schadet eurer Gesundheit, und am Wahltag werdet ihr vergessen, zur Wahl zu gehen, oder statt einem Swapo-Symbol gleich acht vor euch sehen.“

Die Zuhörer lachen, aber das ist kein Witz. „Bei manchen Seminaren sind die Hälfte der Leute betrunken“, sagt Godfrey. „Wir würden am liebsten alle Kneipen für die Wahlwoche zumachen.“

„Ihr habt diese Häuser, diese Stadt, dieses Land aufgebaut“, sagt der Swapo-Sprecher den Arbeitern. „Es ist nur noch ein Schritt, und der Reichtum des Landes kommt auch euch zugute - und das ist die Wahl. Deshalb ist es so wichtig, daß ihr euer Kreuz im richtigen Kästchen macht.“

Alle Parteien machen Wählerausbildung. Die DTA hat sich dabei allerdings einen besonders üblen Trick einfallen lassen. Der von der DTA für Testwahlen benutzte Stimmzettel trägt Symbole und Parteinamen von neun fiktiven Parteien. Nur das DTA-Symbol ist wahrheitsgetreu abgebildet. Die Zettel werden zu Zehntausenden im Land verteilt. Wähler, die nicht lesen können, werden auf dem echten Stimmzettel nur ein Symbol erkennen - das der DTA.