Die IG Metall setzt auf „Wechselstreiks“

■ Das neue Streikkonzept: Betriebe einer Branche sollen in einem „rollierenden System“ abwechselnd und mit Unterbrechungen streiken Streikschwerpunkte sollen im Maschinen- und Schiffbau und bei High-Tech-Firmen sein / Debatte an der Gewerkschaftsbasis erwartet

Berlin (taz) - Schneller als erwartet, hat die IG Metall ihr Geheimnis gelüftet. Wenige Tage nach ihrem Kongreß in Berlin hat ihr zweiter Vorsitzender Klaus Zwickel den Spekulationen über ein neues Streikkonzept ein Ende bereitet.

Mit Hilfe von Wechselstreiks, sagte Zwickel jetzt in einem Interview, erwäge die IG Metall, ihre Forderungen nach der 35-Stunden-Woche und mehr Lohn durchzusetzen, falls sich ein Arbeitskampf bei der Tarifrunde 1990 nicht vermeiden läßt.

Das Konzept der „Wechselstreiks“ bedeute, daß viele Betriebe einer Branche in den Streik mit einbezogen werden, aber in Wechselfolge, so daß jeweils, nach einem rollierenden System nur einige streiken und nach einer gewissen Zeit unterbrechen, um wieder anderen Belegschaften den Arbeitskampf anzuvertrauen.

Bislang habe für Gewerkschafter immer die Parole gegolten, ein Streikkonzept erörtere man nicht auf dem Marktplatz, das müsse eine Überraschung sein, erklärte Klaus Zwickel. Nun sei es aber notwendig geworden, viele Menschen mit einzubeziehen und die möglichen Taktiken breit an der Basis zu diskutieren, denn die Bedingungen hätten sich geändert.

Die neuen Bedingungen lassen es wenig ratsam erscheinen, wie gehabt „Schwerpunktstreiks“ in der Schlüsselindustrie des Metallbereichs, also in der Automobilindustrie, durchzuführen.

Nachdem mittelbar vom Streik Betroffene (in Betrieben, die wegen Materialmangels die Produktion einstellen müssen) aufgrund des §116AFG keine Unterstützung mehr vom Arbeitsamt bekommen, und der Verflechtungsgrad in dieser Branche wegen des weitgehend verwirklichten just-in-time-Konzepts besonders hoch ist (vgl. taz vom 26.Oktober) wäre der Schaden für die Beschäftigten unübersehbar und unbegrenzbar.

Wollen sie die Kosten für Beschäftigte und Gewerkschaft möglichst gering halten und trotzdem ein Maximum an ökonomischem Druck ausüben, müssen die MetallerInnen auf andere Branchen ausweichen: Der Maschinenbau als Exportchampion und auch die Werften seien „bis unter die Halskrause voll mit Aufträgen“, so der Pressesprecher des IG Metall-Vorstands, Jörg Barczynski. Ebenso biete die High -Tech-Industrie in Bayern günstige Voraussetzungen.

Der Maschinenbau in Baden-Württemberg und die Werftindustrie an der Küste stehen unter ungeheurem Produktionsdruck, denn sie können schon ohne Streik das gegenwärtige Auftragsvolumen kaum bewältigen. Wollten diese Firmen einen Streik in Kauf nehmen, könnten sie ihre Lieferfristen nicht einhalten und würden damit nicht nur ihren internationalen Ruf aufs Spiel setzen, sondern auch (im Fall der Werftindustrie) hohe Konventionalstrafen riskieren.

Noch eine weitere Überlegung, so Barczynski, spreche für diese Bereiche: Das just-in-time-Konzept sei hier noch wenig entwickelt und die Lagerhaltung recht hoch; es könnte hier also gut ein paar Tage gestreikt werden, ohne daß Anlaß zu „kalten Aussperrungen“ geboten würde.