Tanz-Kunst ist Avantgarde

■ Gespräch mit der Wigman-Schülerin Manja Chmiel

Der „2. Bremer Tanzherbst“ stand unter der Überschrift: Mary Wigman Nachfolge...

Manja Chmiel: Nun, die Nachfolger sind halt anders geworden. Jeder für sich anders. Das ist gerade das Phänomenale am Wigman-Studio, das ist das Schöne, daß sie kein System gelehrt hat. Sie hat ihre eigene Sicht der Zeit in Tanz umgesetzt. Wir haben die unseren, die jungen sollen ihre...

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Paßfoto der Frau

Manja Chmiel (66)

Was wollte Mary Wigman damals aussagen?

Chmiel: Das war Ausdrucks tanz. Die Person hat sich immer vor den Tanz gestellt. Sie hat sehr viel Pathos gehabt. Auch Schmerz - aber seeehr pathetisch. Ich habe noch nie jemanden so Schmerz empfinden sehen. Das habe ich abgelehnt.

Sie haben einen Konflikt mit Mary Wigman gehabt?

Chmiel: Damals, ja, und zwar über den Stoff, den Inhalt ...

Was ist der „Stoff“?

Chmiel: Der Stoff, das ist das Wesen der Gestaltung, die Art und Weise dessen, was ich aussagen will. Das ist etwas sehr Wichtiges, die Essenz dessen, was die künstlerische Aussage überhaupt ist. Das Material des Tanzes mußten wir ganz neu finden. Jede Zeit hat ihre Themen ...

Haben Sie bei Ihrer Ausbildung einen bestimmten Stoff?

Chmiel: Deshalb choreografiere ich nicht mehr. Meine jungen Leute sollen ihre eigene Aussage finden. Ich habe zu meiner Zeit meine gehabt. Die Zeit ist so schnellebig geworden, da finde ich es nicht gut, wenn man so auf seinen Eiern sitzt und brütet und die schon langsam museal werden... Deshalb lernen meine Leute nur die Qualität von Tanzen. Was sie dann tanzen, wofür sie sich entscheiden, das ist ihr künstlerischer Prozeß.

In unserer Zeit steht sicherlich das Selbsttherapeutische beim Tanzen im Vordergrund.

Chmiel: Ja. Wissen Sie, ich finde, der künstlerische Prozeß ist ein halb unbewußter und halb be wußter. Es steht uns nicht an, da zu analysieren: Was ist Kunst.

Das Selbsttherapeutische ist für Sie ein wenig an der Grenze zur Kunst?

Chmiel: Nein, das Selbsttherapeutische ist immer in der Kunst. Aber es gibt auch die Therapie, und die hat nichts mit Tanz zu tun, auch wenn sie sich oft „Tanz-Therapie“ nennt. Man müßte sie richtiger „Bewegungstherapie“ nennen. Unter Tanz meine ich eine bestimmte Bewegungs-Qualität.

Was ist der Unterschied zwischen dem, was Ihre Schülerinnen lernen, und dem, was an einem Tanztheater etwa bei Hans Kresnik oder Pina Bausch gefordert wird?

Chmiel: Ich habe lange nichts mehr von Kresnik gesehen. Pina Bausch hat sich gewandelt, sie hat ein Tanztheater aus dem Tanz gemacht. Die hat ganz stark und offensichtliche therapeutische Elemente drin. Das hat mein Tanz, der eher zur abstrakten, absoluten Kunst gehört, nicht so.

Was ist Tanz im Unterschied zu Tanztheater?

Chmiel: Theater hat eine Geschichte zu erzählen. Ich bin immer überfordert, wenn ich erklären sollte, was ich mit einem Tanz meine. Das kann man nur umschreiben. Der Tanz hat auch immer eine Aussage, aber sie ist nicht so greifbar, sie ist sprachlos, deswegen tanzen wir. Wenn wir das, was wir tanzen, aussprechen könnten, brauchten wir nicht zu tanzen. Wären wir überflüssig. Tanz ist eine Sprachform neben der verbalen, eben Körpersprache. Und da ist es immer eine Frage des Glücks, wenn ich ein paar begabte junge Leute bekomme..

Vielleicht auch, weil Tanz eine brotlose Kunst ist?

Chmiel: Jede Kunst ist brotlose Kunst. Wenn sie arriviert und Museum geworden ist, ist sie eigentlich keine Kunst mehr. Wie der ganze Opernbetrieb, unser saturiertes Theater. Das ist doch museal. Für mich ist Kunst immer die Avantgarde. Sie muß sich auf die Gegenwart beziehen, nicht auf die Vergangenheit.

Int.: K.W.