Der Tanz spricht selbst

■ Vier alte Damen des „Freien Tanzes“, Wigman-Schülerinnen, beim „2. Bremer Tanzherbst“

Der Tanz aus einem Bedürfnis nach „gesunder und künstlerische Bewegung“ stößt auf Interesse, die Säale waren voll, in denen das Zentrum „Impuls“ in den vergangenen Tagen seinen „2. Bremer Tanzherbst“ veranstaltete. „Mary Wigmans Nachfolge“ sollte das Thema sein, und am Sonntag nachmittag saßen sie alle vier da, die „Wigman-Schülerinnen“, um über ihre Tanz-Leben zu und die Erinnerungen an „Mary“, bei der sie in den 30'er und 40'er Jahren gelernt haben, zu reden: Karin Waehner, nach Jahren in Argentinien seit 1953 in Paris, Manja Chmiel mit Studio in Hannover, Gisela Colpe, die heute in Berlin eine „freie Tanzgruppe“ leitet und Gundel Eplinius, langjährige Professorin für Modernen Tanz in Hannover. Was verbindet die vier, von denen keine unter 60 ist? Alle können sie nicht mehr tanzen. „Da kommt schon so etwas wie Eifersucht“, sagt die Chmiel offen, „wenn man die jungen Tänzer sieht“. Alle vier sind auf eine energische Weise streitbar selbstbewußt, alle vier sind dem Tanz verbunden geblieben.

„Ich habe es satt, als Wigman-Schülerin rumzulaufen“, sagt eine: „Ich bin Karin Waehner.“

Gundel Eplinius hat sich nur „aus Wut gegen die Verbeugung vor der Graham“ Wigman-Schülerin genannt. Seitdem Mary Wigman „modern“ geworden ist, entwickelte Eplinius etwas, das sie „Wigman-Technik“ nennt. Karin Waehner widerspricht: „So etwas kann man nicht systematisieren. Ich würde da sterben.“ Die Wigman hat keine „Technik“ gelehrt, da sind sich die vier einig, ihr ging es um die künstlerische Bewegung, um höchst inviduelle Ausdrucksformen. Das gilt noch heute als das „Unkraut“ neben dem „gezüchteten“ Tanz: „Sollen die unter sich sein“, sagt Manja Chmiel, wer das Kreative wolle, müsse akzeptieren, „außerhalb des Theaters“ zu stehen.

Am Samstag abend waren im Modernes Kostproben davon zu bewundern. Etwa Colpes Tanzgruppe aus Berlin mit der „Sonate für sieben Frauen“. Da wurde auf der Bühne ein klassischer Sonatensatz tanzend aufgeführt, Klangbilder, Rhytmen, Tempi sind „zu sehen“. Ein fröhliches Bewegungsstück und das Publikum erfreut sich mit.

Ganz anders bei „Das Fliegenpapier“. Auch hier tanzt Colpes Berliner Gruppe, auch hier wird durch Sprache der Tanz erklärt und durch Musik (Motive aus Schönbergs erstem Streichquartett) vervollständigt. Aber das Motiv ist bedrückend, die Fliegenfrauen gehen dem Papier auf den Leim, krepieren, und zwei Menschenmenschen, Mann und Frau, gehen sich in ihrer Beziehung auch auf den Leim, bis sie schließlich „in Resignation zusammenbleiben“, wie Gisela Colpe erklärt.

Ganz anders, aus der Schule der Chmiel, Ursula Wagner mit „Überqueren“. Die Tänzerin kommt tausendfach durchbohrt, gekreuzigt (?) in den Raum, schwarz wie Pech ihr „Kleid“. Mit tanzenden (verzweifelten?) Bewegungen gelingt es ihr, diese sie durchbohrenden Stangen abzuschütteln, mit Glockenklängen fällt eine nach der anderen zu Boden, aber kein Freudentanz beendet diese Befreiung.

Oder der Chmiel-Schüler Hans Fredeweiß. Er zeigte das Solo -Stück „Spuren“. Er tastet sich mit

seinen dürren, erhobenen nackten Armen an einer weißen Wand, kein Wort erklärt uns das bedrückende Bild. „Die Tänze stehen für sich, sie stellen nicht dar, sie drücken nicht aus, was sie selber nicht sind.“ Karin Waehner aus Paris kam nach dem Abend im Modernes zu dem Tänzer Fredeweiß und gratuliert ihm zu seinem „kompromißlosen“ Tanz. Er solle sich nicht vom Publikum animieren lassen, „ein bißchen zu hüpfen“. Fredeweiß bedankt sich, sagt: „Aber der Druck ist stark.“

K.W.