Swinging Metropolis

■ 51. Immer am Couplet lang

Produktwerbung mit Prominenten - auch das ist keine Erfindung unserer Tage; wir erinnern uns der „Fritzi-Massary -Zigarette“. Die Verpackung der „Reutter-Zigarren“ ist nicht nur mit dem Konterfei des Namensgebers verziert, nein, sogar einen höchsteigenen Vers steuert er bei: „Ach, es gibt jetzt allerorten / Viel zuviel Zigarrensorten. / Teuer sind sie, wenn sie echt sind, / Bill'ger sind sie, wenn sie schlecht sind. / Drum, ihr Raucher, seid gescheuter, / Raucht nur 'Otto-Reutter-Kräuter‘! Erstens - jeder wird's entdecken - / Weil sie ganz vorzüglich schmecken. / Zweitens wird alsdann mein Name / Populär durch die Reklame. / Drittens - und aus diesem Grunde - / Bin ich dann in aller Munde.

Hören wir ihn nicht förmlich schnarren, jetzt, kurz vor dem Ersten Weltkrieg ein Star, der die berühmten Bendixens ablöste. Martin Bendix, genannt der „Urkomische“, schaut immerhin auf 20 Jahre gleichbleibender Beliebtheit zurück. Nicht nur Sohn Paul lernte von ihm, sondern auch Otto Reutter. Die Redensarten des lehrmeisterlichen Humoristen verbreiten sich häufig von der Bühne in die Cafes, Friseurstuben, Kasinos - bis rin ins Parlament. Geflügelte Worte a la Bendix: Wir lassen uns nicht an die Wimpern klimpern! Sachte, es klemmt sich! Nich uffregen, det ruiniert den Täng! Da kenn‘ Se Buchholzen schlecht! Quatsch nich, Krause!

Ein typisches Melodienmuster aus dieser Ecke sei hier näher betrachtet: das Couplet. Nicht nur im geschlechtlichen Mit-, Auf- und Untereinander heißt „copula“ Verbindung. Und der Orgasmus gewissermaßen ist im musikalischen Kontext der Kehrreim am Strophenende. Tucholsky, der 1919 als Chefredakteur des 'Ulk‘ bei Reutter aktuelle Couplets bestellt, spricht in einem Aufsatz vom besonderen ästhetischen Reiz dieser Form, der darin bestehe, „daß es so schön klappt“. Kurz und gut: Es darf nicht metrisch holpern, muß stetig sich steigern bis zur paßgerechten, zündenden Pointe. Eine „Sage ist keine Schreibe“, und so hat der Vortragende - zumeist auch Autor des Textes - daran zu denken, daß fürs Ohr bestimmte Äußerungen viel langsamer aufgenommen werden als solche, die man fürs Auge konzipierte. Das Prinzip von „Vorgeschichte“ bis zum Refrain als Spannungslöser erläutert Helga Bemmann in ihrer Reutter -Biographie:

„Nach diesem Wirkungsgesetz gliedert sich das Couplet in zwei Teile: in die sogenannte Vorstrophe und den Refrain. In der Regel ist der Refrain kurz, nicht länger als eine Zeile. Die Meisterschaft des guten Coupletisten besteht nun darin, den einmal gefundenen Kehrreim mit dem Inhalt der neuen Strophe originell zu verbinden, besser gesagt: witzig und unerwartet zu verknüpfen, und so immer weiter bis zur dritten, vierten, fünften, sechsten Strophe. Es gibt bei Otto Reutter Couplets, die bis zu zwanzig und mehr Strophen haben; man kann sie untereinander austauschen oder einige davon weglassen, ohne daß der Vortrag davon beeinträchtigt würde. Das erklärt sich aus der Bauform des Couplets als Strophenlied. Das 'Aha-Erlebnis‘ ist jedesmal mit einer Strophe abgeschlossen. Mit jeder neuen Strophe beginnt der Aufbau der Spannung wieder von vorn. Diese poetisch -technische Machart kann man als 'Anbauverfahren‘ bezeichnen. Sie unterscheidet sich grundsätzlich von anderen Liedformen, wie dem Chanson oder Bänkellied, die ein durchgehendes Thema haben, dieses Thema im chronologischen Nacheinander abhandeln und mit der letzten Strophe tatsächlich auch abschließen. Beim Couplet ist die Aussage grundsätzlich mit jeder Strophe abgeschlossen. Aus diesem 'Anbauverfahren‘ ergibt sich, daß dem Couplet ein echter Schluß im Grunde fehlt. Es ist, als wolle man es dem Hörer überlassen, sich selbst im Metier zu versuchen und den Sänger auf der Bühne abzulösen. (...)

Gestaltungskunst, Aufbau der Spannung, Geschmeidigkeit im metrischen Ablauf sowie die Häufung von Pointen innerhalb der Strophen lassen sich besonders an seinem Couplet 'In fünfzig Jahren ist alles vorbei‘ erkennen. Tucholsky nannte es sein 'schönstes Lied‘.

Und stehst du nervös am Telefon, / Und du stehst und verstehst da nicht einen Ton / Oder bist beim Zahnarzt wenn er dich greift / Und dich mit dem Zahn durch die Zimmer schleift, / Und er zieht und er zieht und bricht alles entzwei - / In fünfzig Jahren ist alles vorbei. // Und sitzt auf der Bahn du ganz eingezwängt / Und dir wird noch 'ne Frau auf den Schoß gedrängt / Und die hat noch 'ne Schachtel auf ihrem Schoß / Und du wirst die beiden Schachteln nicht los - / Und die Füße werden dir schwer wie Blei: / In fünfzig Jahren ist alles vorbei. // Und bist du ein Eh'mann und kommst nach Haus / Halb drei in der Nacht - und sie schimpft dich aus. / Dann schmeiß dich ins Bette und sag: 'Verzeih, / Wär‘ ich zu Hause geblieben, wär's auch halb drei.‘ / Und kehr ihr den Rücken und denk: 'Nu schrei!‘ / In fünfzig Jahren ist alles vorbei.“

Norbert Tefelski