Ab in die Wanne

■ 1.Marler Tage der Medienkultur

Am Anfang war die Schuld, dazwischen das Schweigen und dann eben jene wie ein obszönes Menetekel hingegossene Leiche in der Badewanne. Barschels Tod, wer würde schon leugnen, daß sich diese Affäre nicht als Stoff für einen Krimi eignet; das Heimliche seiner Machenschaften, das Unheimliche seines Todes blieben so seltsam unerklärlich, und das Gesehene im Genfer Hotel überflügelte das Sehen und Hinsehen. Damit triumphierten die Bilder wieder einmal über die Fähigkeit, sich ein Bild zu machen. Barschel in der Wanne - ein schauerliches Schlußbild, das wir sehen mußten, weil wir vorher nichts sehen wollten. Damit alles wieder in eine Ordnung kam, setzte der Mechanismus ein, der dem Unerklärten im nachhinein eine Kausalität, eine Kontinuität verleihen sollte. Hatte vor dem Tod Barschels noch eine Chance bestanden, die Details der Affäre in der Kieler Staatskanzlei zu erhellen und zu erklären, muß vieles an der Radionalisierung, die nach dem Finale einsetzte, zwar als plausibel, aber als ebenso ungesichert angenommen werden.

Wie reibungslos dieser Vorgang funktioniert, zeigten noch einmal die „1.Marler Tage der Medienkultur“ im Adolf-Grimme -Institut. Alle Filme - mit Ausnahme des Features Die Erben des Dr.Barschel - bügeln die scheinbar unauflösbaren Widersprüche glatt und bringen ihre Aussage mit dem unausgesprochenen Common sense in Deckung. Der Bösewicht Barschel wird zur Symbolfigur einer Aufsteigermentalität katalysiert, die stringent vom sozial Deklassierten über den Rhetorikkurs ins Amt des Ministerpräsidenten und dann ab in die Wanne führt. Wie die Detektiv-Filme der vierziger Jahre versuchen Gerhard Botts Aufstieg und Fall des Uwe Barschel, Roman Brodmanns Die Wahl nach Barschel und auch Heinrich Breloers - vorab aufgeführtes - Fernsehspiel ie Staatskanzler den Zuschauer über einen intakten Parlamentarismus, der seine Kraft zur Selbstreinigung via Untersuchungsausschuß oder durch die Ahndung des schwarzen Schafes unter Beweis gestellt hat.

Zum Nachdenken darüber, wie sich politische Skandale aufdecken lassen, ohne daß man auf einen Pfeiffer warten muß, fühlte sich die Runde von Journalisten, Medienwissenschaftlern und Fachleuten der politischen Bildung allerdings nicht angeregt. Auf dem Podium, das über den „politischen Stil“ in den Massenmedien diskutieren sollte, schoben die Diskutanten die Manövriermasse bekannter Argumente hin und her. Vom Hang zu Personalisierung, die zu einer verkürzten Darstellung des Politikers führe (das Fernsehen ist schuldig), war natürlich die Rede und auch davon, daß die Medien doch nur das abbilden können, was von den Politikern dargeboten werde.

'Wiener‘ und 'Tempo‘, deren Barschel-Berichte sich im Vertrieb von Wannen-T-Shirts, Promi-Umfragen und Tips für rücktrittgeplagte Politiker erschöpften, waren willkommene Pausenclowns. Mit akkurater Akrobatik strampelten sich Michael Konitzer ('Wiener‘) und Bernd Schwer ('Tempo‘) durch den tosenden Zeitgeist-Zorn, sahen sie sich doch einer Kaste keuscher Klosterschüler ausgeliefert, die unter der Schulbank heim lich 'Tempo‘ lesen, aber oben mit dem Finger schnippen, um zu petzen, wenn 'Wiener‘ hungernde Kinder neben Luxusbadewannen setzt. Mit der Bigotterie schamlos lügender Beichtbrüder wurde an den Schnullis des Lifestyle genau jene Arbeitsweise bekrittelt, die wir alle längst praktizieren - das Infotainment.

Was wäre das Verbrechen ohne die Sehnsucht nach Wahrheit? Heinrich Breloer liefert nun die letzte, die allein gültige Wahrheit; quasi als Schlußstrich unter eine Affäre, die immer nur in ihrer Geschichtlichkeit interessierte, also in dem, das längst vergangen ist, und nicht in dem, was sich nach dem Tod von Uwe Barschel anderswo an Kumpanei, Machtversessenheit und Selbstinszenierung ereignet hat und noch ereignet. Er gibt uns mit der „Staatskanzlei“ (ARD, 29.11.) den Glauben an die kleinen Leute zurück und ein Vertrauen in die Mütterlichkeit. Breloer macht Jutta Schröder zur zentralen Figur seines Films. Die Sekretärin von Uwe Barschel verweigert sich den Intrigen ihres Chefs und bekehrt Pfeiffer zu einem Reumütigen, der artig zur SPD pilgert und alles ausplaudert. Diese brave Frau und die Vorbildlichkeit des Untersuchungsausschusses, wie ihn Breloer darstellt, müssen jeden Zweifel ausräumen. Es gibt keine Barschels mehr. Nicht im Hier und Jetzt, bis in alle Ewigkeit.

Christof Boy