Kiez holt Punkt beim Großkapital

■ Bayer Leverkusen - FC St. Pauli 1:1 / Zweiter Klassenkampf für die Hamburger innerhalb einer Woche

Leverkusen (taz) - Nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen hatte der FC St. Pauli in Leverkusen, denn der bis dahin Tabellenletzte trat vor 12.000 Zuschauern gegen eine Mannschaft aus dem bis dato Führungstrio - München, Köln, Leverkusen - an. Kein Wunder, daß es sich rund 500 Kölner Fans nicht nehmen ließen, über den Rhein zu fahren und die mitgereisten Anhänger vom Millerntor lautstark zu unterstützen. So kam es zu einer Köln-Hamburger Anti-Bayer -Koalition im auswärtigen Fanblock. Im Rheinland sind solche wechselseitigen Zweckbündnisse keineswegs unüblich.

St. Pauli, mit dem „Deutschen Ring“ auf der Brust anscheinend gut gegen aufkommende Resignation versichert, spielte von Anfang an diszipliniert und aggressiv. Schon in der 4. Minute warnten die Hamburger mit einem Golke -Volleyschuß die Bayerkreuzler. In der 5. Minute erzielte Steubing dann nach einem krassen Abwehrfehler von Martin Kree das 1:0 für St. Pauli.

Leverkusen wachte auf und schien allmählich zu begreifen, daß man auch den Tabellenletzten nicht einfach mit links schlagen kann. So entwickelte sich ein schnelles, hartes, aber nicht unbedingt unfaires Spiel. In der 23. Minute nahm Schreier den Ball nach einem weiten Zuspiel von Alois Reinhard auf, bediente Lesniak, und der überwand den chancenlosen St.-Pauli-Torhüter Volker Ippig zum 1:1. Im übrigen zeigte Genosse Ippig eine solide Leistung, Gewaltschüsse eines Martin Kree oder Andrzej Buncol müssen ja erst mal gemeistert werden. Aber nicht nur Ippig, alle Hamburger boten eine gute Partie, wobei Golke und Kocian die auffälligsten Akteure waren.

Auch nach der Pause blieb das Spiel offen und spannend. „Mehr als wir in der zweiten Halbzeit gestürmt haben“, meinte Bayer-Trainer Gelsdorf anschließend, „kann man einfach nicht nach vorne bringen.“ Angesichts dieses Statements plagen den kritischen Beobachter jedoch einige Zweifel. Zwar machte Leverkusen Druck, aber eine überzeugende spielerische Linie war nicht zu erkennen. Zu viel Hektik herrschte in Mittelfeld und Angriff, wodurch St. Pauli immer wieder zu mehr oder weniger gefährlichen Kontern eingeladen wurde. Und der für Sven Demandt eingewechselte Jungstürmer Heiko Herrlich (was für ein Name!) vergab dreimal in aussichtsreicher Position. Aber die älteren Semester hätten ihm ja Besseres vormachen können. Auch aus einem Eckenverhältnis von 13:3 vermochten die Leverkusener kein Kapital zu schlagen, und Gelsdorf stellte für die Zukunft das intensive Trainieren von „Standardsituationen“ in Aussicht.

Ebenfalls für die Zukunft bleibt zu hoffen, daß der FC St. Pauli der Bundesliga erhalten bleibt, und der Kiez dem Großkapital weiterhin den ein oder anderen Punkt abtrotzt. Vereine, die noch den Namen eines Stadtteils im Wappen führen, sind selten geworden, und mit welch relativ bescheidenen Mitteln sie versuchen müssen, konkurrenzfähig zu bleiben, zeigt der Vergleich zwischen den ausländischen Stars beider Kontrahenten: Während der Pole Kocian St. Pauli 170.000 Mark kostete, blätterte Leverkusen für den brasilianischen Nationalmannschaftskapitän Jorginho 1,5 Millionen hin (offiziell, woran in Leverkusen aber keiner glaubt).

Positiv auch die St.-Pauli-Fans. Während das Gröhlen platter Fascho-Sprüche mittlerweile zu den „Standardsituationen“ in den Stadien gehört, war im Leverkusener Ulrich-Haberland-Stadion aus dem Hamburger Block klar und deutlich zu hören: „Nazis raus!“

Johannes Boddenberg

LEVERKUSEN: Vollborn - Hörster - Alois Reinhard, Kree Fischer, Jorginho (85. Feinbier), Schreier, Buncol, Knut Reinhard - Lesniak, Demandt (46. Herrlich)

ST. PAULI: Ippig - Kocian - Trulsen, Schlindwein - Großkopf, Gronau, Knäbel, Olck, Zander - Golke, Steubing